Politik

Rede von Außenministerin Annalena Baerbock vor dem Bundestag zum Antrag der Fraktionen SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, FDP: Protestbewegung im Iran unterstützen, Druck auf das Regime in Teheran erhöhen

Jina Mahsa Amini ist 22 Jahre alt, als sie getötet wird. Abolfazl Adinezadeh ist 17, als er die Schule schwänzt, um an Protesten in der iranischen Stadt Maschhad teilnehmen. Bei seiner Beerdigung fragt sein Vater, welches Verbrechen sein Sohn dafür begangen haben soll, dass ihm 24 Schrotkugeln in den Bauch gejagt wurden. Nika Shakarami ist 16, als sie bei Protesten in Teheran getötet wird. Mohammad Rakhshani und Omid Sarani aus Sistan und Belutschistan sind 12 und 13 – Kinder. Minu Majidi ist 62, Kurdin. An ihrem Grab steht ihre Tochter; ihre Haare sind abrasiert. Ihr Blick dringt ins Mark. Ihr Foto ging um die Welt.
Getötet, ihren Familien entrissen: Mahsa, Abolfazl, Nika, Mohammad, Omid, Minu. Sie sind 6 von geschätzt über 300 Menschen, die getötet und ihren Familien entrissen wurden, weil sie für das eingestanden sind, was für uns selbstverständlich ist: das Recht, frei über ihr Leben zu entscheiden, das Recht, in Würde zu leben.
Dafür gehen die Frauen und Männer in Iran seit fast zwei Monaten auf die Straße. Über 14 000 Menschen sind dabei verhaftet und verschleppt worden, und das Regime droht Protestierenden auch mit der Todesstrafe. Angesichts der Wucht, angesichts dieser Brutalität reichen mahnende Worte nicht aus, und ich verstehe nicht, wie man sich an dieser Stelle über Tweets austauschen kann.
Ich glaube, dass es Aufgabe von verantwortungsvoller Politik ist, dass wir strategisch und ehrlich analysieren – ich richte meinen Blick auf die Herren von der CDU -, wie wir diesen Menschen beistehen können – nicht, indem wir hier aus einem sicheren Raum Versprechungen machen!
Sie haben mit keinem Wort die Namen dieser Menschen erwähnt.
Wissen Sie was? Ich habe mir sehr genau überlegt, ob ich auf Ihre Rede eingehe. Ihre Rede wurde ja zum Glück – wir sind in einem freien Parlament – weltweit gehört. Deswegen möchte ich genau auf Ihre Punkte eingehen.
Warum nehmen wir uns Zeit, um Sanktionspakete zu verabschieden? Weil wir zum Glück in einer Demokratie und in einem Rechtsstaat leben, weil wir in einer gemeinsamen Europäischen Union so leben, wie die Menschen in Iran das gerne tun würden. Wissen Sie was? Ich möchte nicht, dass eine einzige Person auf unseren Sanktionslisten entlistet wird, wie das auch bei Listungen von russischen Akteuren passiert ist. Wir haben strenge Regeln dafür.
Sie fragen mich, warum ich auf die anderen Europäer eingehe, warum ich warte, warum ich nicht wie die Kanadier vorgehe. – Weil alles rechtssicher sein muss. Sie sind Jurist. Sie wissen, dass wir in Teilen andere Rechtssysteme haben als die Amerikaner und die Kanadier. Wenn ich möchte, dass jede Person verantwortlich zur Rechenschaft gezogen wird, dann reicht es nicht, dass ich hier reflexhaft irgendwelche Zahlen in den Raum stelle, sondern ich möchte, wenn ich den mutigen Frauen und Männern in Iran verspreche: „Ich stehe an eurer Seite“, dass ich rechtssicher gemeinsam mit den Europäerinnen und Europäern an ihrer Seite stehe.
Sie haben hier gefragt, was wir seit neun Tagen mit Blick auf die Terrorlistung getan haben. Ich sage Ihnen was: Das auszusprechen, war gewagt, weil wir eben ein anderes Rechtsverständnis haben als Herr Trump damals bei seiner Terrorlistung. Ich fand es wichtig, das auszusprechen, um deutlich zu machen, dass das nach meinem politischen Verständnis terroristische Aktivitäten gegen die eigene Bevölkerung sind.
Sie sind Jurist; Sie wissen, wie die Terrorlistung in Europa ist. Da kann die deutsche Außenministerin nicht einfach sagen: „Das ist jetzt meine persönliche Auffassung; deswegen machen wir das in Europa so“, sondern wir müssen uns die Rechtslage anschauen; das können wir gerne gemeinsam tun. Und da kommen viele andere Europäer zu anderen Auffassungen.
Und wissen Sie was? Das klingt jetzt vielleicht so – aber das bin ich mittlerweile gewöhnt -, dass sich eine Frau rechtfertigen muss.
Sie haben gefragt, warum Agnieszka Brugger gefragt hat, warum der Botschafter einbestellt wird. Meinen Sie, es ist ein Zufall, dass sich der iranische Außenminister beim Hohen Vertreter Borrell über die deutsche Außenministerin beschwert?
Ich möchte hier einmal ganz undiplomatisch reden: Wenn wir an der Seite der Frauen und der Männer in Iran stehen wollen, dann ist unsere Verantwortung – so wie wir das auch getan haben bei den mutigen Menschen in Belarus -, dass wir gemeinsam auch ganz ehrlich sagen, wo unsere Baustellen sind, was unsere Maßnahmen sind, weil wir eben nicht von außen einfach so eingreifen können. Es gibt Dinge, die würden wir uns gerne wünschen. Die sind aber in den internationalen Beziehungen und aufgrund der Rechtssysteme nicht möglich.
Erst haben Sie gesagt, Sie kritisieren den Passus vom JCPoA, und dann haben Sie gesagt, irgendwie kritisieren sie ihn aber doch nicht. Diese Haltung kann man sich als Bundesregierung nicht leisten. Deswegen möchte ich an diesem heutigen Tag deutlich unterstreichen, warum es für uns als Bundesregierung so zentral ist, dass dieses Regime, das das Existenzrecht Israels infrage stellt, niemals zu einem nuklearen Waffenarsenal kommt.
Ich habe mehrfach deutlich gemacht: Es gibt keine Verhandlungen. Das haben wir in Münster beim G-7-Treffen unterstrichen. Aber ich werde diesem Regime niemals einen Blankoscheck geben und sagen: Jetzt akzeptieren wir doch irgendwie, dass ihr nuklear anreichert. – Nein, diese nukleare Anreicherung muss mit Blick auf das Existenzrecht Israels und auch zum Schutz der Menschen in Iran gestoppt werden.
Ich kann niemandem versprechen, dass das alles Wirkung zeigt. Zur Realität gehört: Das wissen wir nicht. – Politik ist kompliziert, Außenpolitik erst recht, weil wir den Menschen in Iran eben von außen in dieser Situation beistehen. Ich weiß nicht – ich glaube, das weiß niemand; das wissen auch Sie nicht -, wie das Regime weiter vorgehen wird.
Was ich aber weiß, ist: Wir lassen nicht nach. Jeden Tag werden wir versuchen, weitere Sanktionspakete auf den Weg zu bringen.
Ich telefoniere mir gerade die Finger wund, damit wir im Menschenrechtsrat endlich den Accountability-Mechanismus aktivieren können. Ob das gelingt, können Sie mich dann wieder fragen; ich weiß es nicht. Die Resolution zu Xinjiang ist im Menschenrechtsrat gescheitert. Das zeigt aber, wie wichtig es ist, dass wir uns tagtäglich dahinterklemmen, weil alle, die für Menschenrechte arbeiten, wissen, wie wichtig es für die Opfer ist, dass die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.
Deswegen stehen wir – ich komme zum Schluss – an der Seite der starken Frauen und Männer in Iran, solange es notwendig ist.
Wir tragen ihre Stimmen in die Welt. Sie heißen Mahsa, sie heißen Nika, sie heißen Abolfazl, sie heißen Mohammad, sie heißen Omid, sie heißen Minu. Mindestens 30 von ihnen sind Kinder, und sie sind stärker als das Unrecht und die Gewalt.
Herzlichen Dank.

Kommentar verfassen