Potsdam

Mobilized – Handybasierter Dokumentarfilm, Filmreihe 26.-27.11.2022

Das Programm präsentiert Filme, die sich die vielseitigen Möglichkeiten von Mobiltelefonen mit integrierten Kamerasystemen konzeptuell zu Nutze machen. Seit ihrer Einführung werden die relativ jungen, aber heute allgegenwärtigen Technologien von Dokumentarfilmer*innen zur Erforschung neuer Wirklichkeitsräume und Repräsentationsformen eingesetzt. Die leicht zugängliche Herstellung und Verbreitung von Handybildern ermöglicht diverse Perspektivwechsel: Sie befähigen Protagonist*innen zur direkten Selbstrepräsentation, gewähren Blicke auf bisher Unzugängliches und erlauben es unauffällig, erfahrenes Unrecht zu bezeugen und zu teilen.
Mit besonderer Aktualität veranschaulichen die ausgewählten Filme, wie eine einfache Handykamera als Werkzeug eingesetzt werden kann, um neue Perspektiven und Sichtbarkeiten zu erschaffen.

Die ausgewählten Filme entstanden in Iran, Russland, Afghanistan, Kuba und Italien und veranschaulichen die vielfältigen Effekte, die entstehen, wenn die vermeintlich vertraute Handy-Ästhetik im Kinoraum zur Wirkung kommt.

„Mobilized – Handybasierter Dokumentarfilm“ wird kuratiert von Milan Bath und ist in Zusammenarbeit mit dem Masterstudiengang Filmkulturerbe der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF entstanden.

Sa., 26.11.

 

18:00 Uhr
Teheran Without Permission
R: Sepideh Farsi, Iran, 2009, 83‘, OmE

Als die iranische Regisseurin Sepideh Farsi im Vorfeld der Wahl 2009 die angespannte Stimmung in Teheran dokumentarisch einfangen will, erteilt ihr die staatliche Behörde ein Filmverbot. Anstatt der Einschüchterung nachzugeben, lässt sie sich durch die Stadt treiben und filmt ihre Beobachtungen mit ihrem Nokia 95. Sie trifft auf Frauen im Schönheitssalon, Männer in Cafés, Taxifahrer, Straßenkünstler und rastlose Jugendliche. Während die Handykamera jegliche Distanz abzubauen scheint, beginnen die Menschen, über ihre persönlichen Probleme und Ängste gegenüber einer ungewissen Zukunft zu sprechen.
Entstanden ist eine Collage roher Momentaufnahmen, die einen intimen Blick auf das iranische Leben in einer Zeit der Krise zwischen Tradition und Moderne, Armut und Wohlstand, Religion und Laizismus wirft.
Begrüßung: Milan Bath 
(Filmuniversität Babelsberg)

20:30 Uhr
Midnight Traveler
R: Hassan Fazili, Afghanistan, 2019, 88’, OmU

Eine Todesdrohung der Taliban veranlasst den afghanischen Regisseur Hassan Fazili, sich mit seiner Familie über die berüchtigte „Balkanroute“ nach Europa schmuggeln zu lassen. Während der mehrjährigen Odyssee dokumentiert das Ehepaar zusammen mit den beiden jungen Töchtern die Flucht mit ihren Smartphones.

Sie durchqueren Wälder, leben abwechselnd auf der Straße und in Geflüchtetenunterkünften, sind der Willkür skrupelloser Schmuggler ausgesetzt und geraten in den Fokus von Anfeindungen und medialer Meinungsmache. Das gemeinsame Filmen bietet der Familie nicht nur einen Weg, mit der belastenden Situation umzugehen, sondern ermöglicht ihnen auch, Erfahrenes aus eigener Perspektive zu schildern. Das Ergebnis ist ein erschütternder Film über die Entbehrungen, den Mut und den Zusammenhalt einer Familie auf der Suche nach Sicherheit und einer würdevollen Zukunft.

 

So., 27.11.

17:30 Uhr
Option Zero
R: Marcel Beltrán, 2020, Kuba/Kolumbien, 80´, OmE

Eine weniger bekannte kubanische Fluchtroute in die USA führt über den dichten Darién-Dschungel nach Mittelamerika. Die gefährliche Reise endet für die meisten in einem Auffanglager in Panama: ohne legalen Status und ohne Möglichkeit der Rückkehr oder Weiterreise. Viele filmen und kommentieren ihre Flucht via Livestream mit dem Handy. Für seinen Dokumentarfilm erhielt der kubanische Regisseur Marcel Beltrán von Bewohner*innen des Lagers Zugang zu diesem prekären Archiv digitaler Zeugnisse und vermischt die verwackelten Handybilder mit hochstilisierten Aufnahmen des Lageralltags. Entstanden ist dabei ein Film über das Leid von Menschen auf der Flucht und die Unmenschlichkeit der bürokratischen Hindernisse, denen sie auch in der Folge noch ausgesetzt bleiben.

 

19:00 Uhr
Kotlovan
R: Andre Gryazev, Russland, 2020, 70’, OmE

Um seinen Dokumentarfilm über die Stimmungen in der russischen Gesellschaft im Jahr 2018 frei von Einschränkungen zu realisieren, besucht der russische Regisseur Gryazev die Videoplattform YouTube – und beginnt mit einer einfachen Suchanfrage: “Nachricht an Präsident Putin“. Aus der Masse an gefundenem Material formt der Regisseur ein Mosaik aus Handyvideos, in denen sich gewöhnliche Bürger*innen verschiedenster Milieus direkt an ihren Präsidenten richten. Zwar sind ihre Anliegen vielfältig, doch zusammen offenbaren sie den Gemütszustand einer zunehmend desillusionierten und frustrierten Gesellschaft. Ggryazevs Found-Footage-Film präsentiert das Internet-Video als eine Möglichkeit der politischen Meinungsäußerung in der Gegenwart. Ihre Zusammenstellung bildet einen wirkungsvollen Protest, der manchmal komisch und absurd, häufiger aber niederschmetternd ist.

 

20:30 Uhr
Selfie
R: Agostino Ferrente, Italien, 2019, 77’, OmE

2014 wird der 16-jährige Davide Bifolce von der Polizei erschossen, weil diese ihn fälschlicherweise für einen Drogendealer hält. Das tragische Ereignis veranlasste Regisseur Agostino Ferrente, Davides engste Freunde Allessandro und Pietro aufzuspüren, um ihr Leben im neapolitanischen Traiano-Viertel zu dokumentieren. Für einen möglichst unverstellten Blick in ihre Welt, bittet Ferrente die Jugendlichen, ihre Erfahrungen eigenständig mit dem Smartphone aufzunehmen. Die Kamera stets auf sich selbst gerichtet, spiegeln sich die beiden Teenager in ihrem Umfeld und kommentieren ihren von staatlicher Willkür, Langeweile, Wut und Trauer geprägten Alltag. Aus den entstandenen Videos montiert Ferrente ein tragikomisches Portrait, über eine zärtliche Jungen­freund­schaft, die sich einem Leben widersetzt, in dem die Herkunft über die Zukunft zu bestimmen scheint.

Eine Veranstaltung des Filmmuseums Potsdam in Zusammenarbeit mit dem Masterstudiengang Filmkulturerbe der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. 

Kartenreservierung: 0331-27181-12ticket@filmmuseum-potsdam.de

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