Politik

Neue EU-Klimapolitik steht: Politische Verständigung zum Abschluss des „Fit for 55“-Klimapakets

Historischer Durchbruch für den Klimaschutz: Ausweitung des EU-Emissionshandels und Einführung
eines Klimasozialfonds
Der Europäische Emissionshandel wird auf fast alle Sektoren ausgeweitet, insbesondere auf die
Bereiche Gebäude und Verkehr. Darauf haben sich vergangene Nacht das Europäische Parlament, der Rat
und die Europäische Kommission im Rahmen der sogenannten Trilog-Verhandlungen geeinigt. Rund drei
Viertel aller europäischen CO2-Emissionen sind damit zukünftig an Zertifikate bzw. Emissionsrechte
gebunden. Deren Menge sinkt kontinuierlich ab – entsprechend der europäischen Klimaziele.
Mit diesem Durchbruch werden endlich in ganz Europa auch die bislang schwierigen Sektoren Verkehr
und Gebäude stärker in die Pflicht genommen. Ein Marktmechanismus sorgt dafür, dass die Preise
nicht zu stark ansteigen können und bei über 45 Euro pro Zertifikat abgefedert werden. Die EU hat
sich damit auf den zentralen Hebel bei der Absenkung der Treibhausgase bis 2030 geeinigt und ebnet
ihren Weg zur vollständigen Treibhausgasneutralität bis 2050.
Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck: „Die EU geht voran beim Klimaschutz
und beweist Entschlossenheit – aller Krisen zum Trotz. Die europäische Klimapolitik stellt sicher,
dass wir in der EU den Weg zur Klimaneutralität gemeinsam gehen, und sie setzt Maßstäbe für die
Umsetzung von Klimapolitik weltweit.“
Um die finanziellen Belastungen der zusätzlichen CO2-Bepreisung für einkommensärmere Haushalte
abzufedern, wird ein neuer Klimasozialfonds in Höhe von 65 Milliarden Euro eingerichtet. Mit dem
Grenzausgleich und der Stärkung des Innovationsfonds enthält die Einigung auch eine gute Balance
bei der Dekarbonisierung der europäischen Industrie: Sie erhält bis 2030 mehr Zeit für die
Dekarbonisierung. Die Kommission wird bis 2026 überprüfen, ob diese Regelungen ggf. verändert
werden müssen.
Mit der Einigung zum europäischen Emissionshandel ist der größte Teil des Fit-for-55-Programms
ausverhandelt. Das Programm enthält alle Maßnahmen, mit der die EU-Mitgliedsstaaten ihre
verschärften Klimaziele – die CO2-Emissionen der EU müssen bis 2030 um 55 % gegenüber 1990 absinken
– erreichen wollen.
Bundesminister Habeck: „Aus deutscher Sicht ist die Einigung ein Durchbruch für den Klimaschutz,
der gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit unserer europäischen Industrie und die soziale Abfederung
notwendiger Klimamaßnahmen sichert. Die Beschlüsse zu „Fit for 55″ sind zentral, um die EU
unabhängiger von fossilen Energien zu machen. Sie erfordern eine schnellere Transformation, aber
fördern auch die dafür notwendigen Investitionen. Außerdem sorgt der Klimasozialfonds dafür, dass
der Übergang sozial ausgewogen gestaltet werden kann.“
Schärfere Regeln für den Emissionshandel
Die Trilog-Einigung sieht vor, die Menge der CO2-Zertifikate – die Emissionsrechte – im
EU-Emissionshandelssystem (ETS-1) bis 2030 im Vergleich zu 2005 schrittweise um 62 Prozent zu
senken (bisher 43 Prozent) Auch die Regeln für die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten wurden
umfangreich überarbeitet. Insbesondere sollen effiziente Unternehmen künftig von einer kostenlosen
Zuteilung profitieren wohingegen ineffiziente Anlagen Kürzungen befürchten müssen, wenn sie keine
Effizienzmaßnahmen durchführen. Die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten für den Luftfahrtbereich
und für bestimmte, besonders im internationalen Wettbewerb stehende Industriesektoren soll
stufenweise auslaufen. Außerdem wird der Seeverkehr ab 2024 in den Emissionshandel einbezogen.
Damit deckt der ETS-1 dann fast die Hälfte aller europäischen Treibhausgasemissionen und die
größten Quellen für klimaschädliche Treibhausgase ab: im Energiesektor, in der energieintensiven
Industrie sowie im See- und Luftverkehr.
Ein Teil der Einnahmen fließt in den Innovationsfonds, der Investitionen in klimafreundliche
Technologien fördern soll. Im Vergleich zur derzeitigen Größe des Fonds wurden zusätzlich 20
Millionen Zertifikate hinzugefügt, die u.a. aus der Einbeziehung des Seeverkehrs in den ETS-2
gewonnen werden.
Neuer Emissionshandel für Gebäude, Verkehr und Prozesswärme
Die Einigung sieht zudem vor, ab 2027ein neues zusätzliches und eigenständiges
Emissionshandelssystem für Gebäude, den Straßenverkehr und Brennstoffe in bestimmten industriellen
Sektoren zu schaffen – ähnlich dem nationalen deutschen Brennstoffemissionshandel. Hier ist es auf
den letzten Metern noch gelungen, im europäischen ETS zusätzliche Emissionsmengen einzubeziehen.
Die hierbei erfassten Emissionen sollten bis 2030 um 43 Prozent im Vergleich zu 2005 reduziert
werden. Die Menge der Emissionsrechte soll dabei jährlich um 5,10 Prozent und ab 2028 um 5,38
Prozent jährlich zurückgehen. Kostenlose Emissionsrechte sind nicht vorgesehen, da die Preise von
den Brennstoffhändlern an die Verbraucher weitergegeben werden sollen, um die notwendigen
Klimaschutzanreize zu erzielen.
Klimasozialfonds
Ein neuer Klimasozialfonds soll den Mitgliedstaaten Finanzmittel zur Verfügung stellen, um die
sozialen Auswirkungen des vorgeschlagenen neuen Emissionshandelssystems ETS-II auszugleichen. Der
Fonds soll vor allem Maßnahmen und Investitionen in effizientere Gebäude und emissionsärmere
Mobilität unterstützen. Die Maßnahmen sollen hauptsächlich einkommensschwächeren Haushalten,
Kleinstunternehmen oder Verkehrsteilnehmern zugutekommen. Vorrübergehend kann der Fonds auch
direkte Einkommensbeihilfen für besonders vulnerable Haushalte finanzieren.
Der Fonds hat eine Gesamthöhe von 65 Milliarden Euro über eine Laufzeit von 2026-2032 und wird
größtenteils aus Einnahmen des neuen ETS II für Gebäude und Straßenverkehr finanziert. Zusätzlich
werden die Mitgliedstaaten mit eigenen Haushaltsmitteln zu den durchgeführten Maßnahmen beitragen,
sodass insgesamt rund 86 Milliarden Euro für den sozialen Ausgleich zur Verfügung stehen. Durch
einen entsprechenden Zuweisungsschlüssel der Gesamtmittel wird zudem ein europaweiter solidarischer
Ausgleich zwischen allen Mitgliedsstaaten sichergestellt.
CO2-Grenzausgleich
Wie bereits letzte Woche beschlossen, soll ab dem Jahr 2023 mit einer Testphase von drei Jahren ein
CO2-Grenzausgleichsmechanismus eingeführt werden. Dieser „Carbon Border Adjustment Mechanism“
(CBAM) bepreist Importe aus Drittstaaten ohne vergleichbare Klimaschutzanforderungen. Er soll das
derzeit zentrale Instrument zum Schutz vor Carbon Leakage, die kostenlose Zuteilung an
Emissionszertifikaten, bis 2034 in den von ihm erfassten Sektoren schrittweise ablösen.
Zu Beginn wird der CBAM den Stromsektor sowie einen Großteil der Emissionen folgender
Industriesektoren umfassen: Eisen und Stahl, Aluminium, Zement, Düngemittel, Wasserstoff. Die
Anzahl der vom CBAM umfassten Produkte soll mit der Zeit ansteigen. Durch den Mechanismus bekommen
in Zukunft auch CO2-Emissionen bestimmter energieintensiver Produkte einen Preis, die in die EU
importiert werden. Der Mechanismus schafft einen Ausgleich für europäische Unternehmen, die dem EU
Emissionshandel (ETS-1) unterliegen, gegenüber Unternehmen aus anderen Wirtschaftsräumen.
Die Verhandlungen zur Stärkung der Vorgaben für erneuerbare Energien und Energieeffizienz sowie
einige transportbezogene Gesetze im FitFor55-Paket werden im kommenden Jahr abgeschlossen.
Der jetzt gefundene Kompromiss bringt die Position von Mitgliedstaaten, Europäischem Parlament und
Kommission zusammen. Die drei Institutionen haben im sogenannten Trilog-Format verhandelt. Nur wenn
alle drei Seiten zustimmen, kann ein Gesetzesvorhaben in Kraft treten. Die Einigung muss nun noch
formell in Rat und EP bestätigt werden.

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