Potsdam

Kundgebung Potsdam wehrt sich! Gegen Rechtsextremismus und Umsturzpläne!

Die Kundgebung „Potsdam wehrt sich! Gegen Rechtsextremismus und Umsturzpläne!“ auf dem Alten Markt in Potsdam besuchten rund 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.  Vielen Dank für Ihre Unterstützung!

Rede von Oberbürgermeister Mike Schubert:

Liebe Bürgerinnen und Bürger,
ich erlaube mir zuerst etwas sehr Persönliches auszusprechen:
„Jämmerlich, einfältig, Witzfigur, Ich würde mich schämen, Spalter,
Vollidiot, Scheißhaufen, Systemling, heul leise, Zigeuner.“
Das ist nur ein kleiner Auszug der Hasskommentare, die ich seit dem
Aufruf für diese Kundgebung auf meinen SocialMedia-Kanälen lesen
musste. Und mit Bezug auf den Grund unserer heutigen Kundgebung:
Der Clown vor der Kamera kann gleich mit die Koffer packen.
Gestatten, der Clown bin ich.
So wie unsere Potsdamer Amtsträger Bundeskanzler Olaf Scholz,
Bundesaußenministerin Anna-Lena Baerbock, Bundesbauministerin
Klara Geywitz und die Landesministerinnen Ursula Nonnemacher und
Manja Schüle oder Parteienvertreter aus dem Land wie Daniel Keller,
Benjamin Raschke und Andreas Walther und die viele anderen, die
heute hier sind und ein Mandat haben. Ich höre immer wieder: diese
Schmähungen zu ertragenden, gehört heute zum Amt dazu. Ist das
so?
Ich habe in meinem Amtseid geschworen, die Gesetze zu wahren und
Schaden von der Stadt Potsdam abzuwenden. So wie meine
Beigeordneten Burkhard Exner, Brigitte Meier, Bernd Rubelt und
Walid Hafezi, die heute mit mir hier sind.

Aber so wie die anderen genannten und diese vier, habe ich nicht
geschworen mich dafür beleidigen und bedrohen zu lassen.
Macht mir das Angst? Ja, denn ich bin nicht nur Politiker und
demokratisch gewählter Oberbürgermeister, sondern auch Mensch,
Ehemann und Vater zwei Kinder. Mit einem der beiden Kinder und
meiner Frau wollte ich an diesem Wochenende eigentlich zu einem
Wettkampf in den Niederlanden sein und ihn und seine Freunde
anfeuern.
Junge Judokas – mit und ohne Migrationshintergrund in einer
deutschen Mannschaft. So wie viele von Ihnen hatte ich an diesem
Sonntag etwas ganz Anderes vor. Am Donnerstagabend haben wir in
der Familie gemeinsam entschieden, dass ich hierbleibe und
gemeinsam mit dem Bündnis „Potsdam bekennt Farbe“ zu dieser
Kundgebung einlade um denen eine Stimme zu geben, die seit
Mittwoch – seit den Berichten um das Treffen rechter Ideologen, AFD
Politiker und Unternehmer am Lehnitzsee in Potsdam – sprachlos
waren.
Sprach- und fassungslos, wegen dieser ungeheuerlichen Gefahr für
unsere Demokratie, die da sichtbar wurde. Aber wir haben unsere
Sprachlosigkeit überwunden und begonnen am Freitag zu
organisieren.
Ich wusste nicht, wie viele Menschen so kurzfristig unserem Aufruf
folgen und ich danke allen die geholfen haben, dies heute so
kurzfristig möglich zu machen. Ich danke EUCH und Ihnen allen dafür,
dass sie da sind!
Liebe Bürgerinnen und Bürger, einige der Kommentatoren im Netz
schienen zu wissen, wie viele Teilnehmende heute kommen. Da hieß
es: Kommt doch eh keiner, Das wird einsam werden Hat es Platz für
10 Leute? Wie viele werden kommen? 50 max. 100. Und einer
schrieb: Gucken wir mal, ob wir erfahren, wieviel Leute da waren.

An all diese Hater: Ja, ihr werdet erfahren wie viele Menschen heute
hier waren. Ihr werdet sehen, dass wir nicht allein waren. Dass wir für
eine vielfältige Gesellschaft aufstehen und nicht mehr ruhig
zuschauen. Ihr werdet sehen, dass wir uns wehren, nicht nur in dem
wir auf den Plätzen stehen, sondern auch indem wir im Netz zeigen,
dass wir uns von euren anonymen Attacken nicht einschüchtern
lassen.
Wir hier auf dem Alten Markt werden Fotos und Videos posten und
wir werden Euch zeigen: Wir sind viele. Und ich hoffe, dass es so wie
heute, in Deutschland in den kommenden Wochen weitere
Kundgebungen geben wird, die zeigen – wir sind nicht allein.
Liebe Bürgerinnen und Bürger, Jetzt ist der Zeitpunkt, Farbe zu
bekennen: für unsere Stadt, für unser Land, für die Menschen, die
hier leben. Wir lassen uns unsere Stadt, unser Land, unsere
Demokratie nicht von den neuen Nazis stehlen. Sie alle sind heute
hier und bekennen Farbe und Sie wehren sich gegen die Gefahr, die
unserem Land von den neuen Nazis droht!
Das ist, was zählt und es spielt keine Rolle, welche demokratische
Partei Sie wählen. Nicht, ob Sie konservativ oder progressiv sind. Es
ist egal, ob und an welchen Gott sie glauben. Es ist egal, wie Sie zum
Gendern stehen, ob Sie Diesel fahren, E-Auto oder Tram, ob Sie
Wurst essen oder nur vegan, ob Sie gegen oder für Windkraft sind.
Und es ist auch egal, ob Sie sich für offene Grenzen oder für eine
Steuerung bei der Migration aussprechen.
Denn diese Vielfalt der Meinungen und Positionen schützt unsere
Verfassung. Und wir müssen unsere Verfassung schützen. Denn das,
was da im Gästehaus am Lehnitzsee in Potsdam stattfand, das was
über das Treffen von rechtsradikalen, verfassungsfeindliche
Ideologen, AfD-Politiker und Unternehmer durch das Rechercheteam
Correctiv bekannt geworden ist, ist ein Angriff auf unsere Verfassung.
Wer deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger mit
Migrationshintergrund, anerkannte Schutzsuchende und ihre Unterstützer aus dem Land vertreiben will, begeht einen
Verfassungsbruch.
Nach Artikel 3 unseres Grundgesetzes sind alle Menschen vor dem
Gesetz gleich. Wer Staatsbürger wegen ihres
Migrationshintergrundes oder ihrer Unterstützung für Ausländer
ausweisen will, verstößt gegen dieses Gleichheitsgebot.
Nach Artikel 19 sind Kollektivausweisungen verboten. Wer
millionenfach Migranten mit und ohne deutschen Pass wegen ihres
Migrationshintergrundes in einen angeblichen „Musterstaat“
zwangsumsiedeln will, begeht Verfassungsbruch.
Und diesen Tabubruch dürfen wir nicht hinnehmen. Dass es solche
Pläne gibt, wird nicht einmal geleugnet. Nicht von den
Teilnehmenden des Treffens und nicht von der AFD. Die einen
wiegeln ab. Sprechen von einem privaten Treffen oder von Zufall.
Als wüsste man nicht, dass wenn man einem Vortrag über
massenhafte Zwangsausweisungen anhört, den dann auch noch
Martin Sellner, ein rechter Ideologen der identitären Bewegung hält,
vielleicht irgendwie etwas falsch sein könnte. Sie rechtfertigen sich
wie Gaffer bei einem Verkehrsunfall – man konnte ja nicht
weggucken, rausgehen oder öffentlich machen und anzeigen, was da
Ungeheuerliches gesprochen wurde.
Oder sie halten es offensiv für richtig und sagen es offen. So wie der
Potsdamer AFD Bundestagsabgeordnete Springer bei X:
Millionenfache Remigration ist kein Geheimplan, sondern ein
Versprechen der AfD! Liebe Teilnehmende, Potsdam stellt sich gegen
AfD-Politiker, Hetzer und rechte Geschäftsleute und auch alle
anderen, die solchen Vorträgen ohne Gegenreaktionen folgen.
Potsdam stellt sich gegen alle, die die Vertreibung von Millionen
Mitbürgern nach rassistischen Kriterien akzeptieren, hinnehmen oder
noch schlimmer wie die AFD, nach einer von ihnen erhofften
Regierungsübernahme, planen. Dagegen wehren wir uns!

Liebe Bürgerinnen und Bürger, viel wurde in den letzten Tagen über
das, was da am Lehnitzsee geschehen ist, berichtet. Der Inhalt des
Treffens, der sogenannte „Masterplan“ ist die Idee einer
millionenfachen Aussiedlung von Migranten mit und ohne deutschen
Pass in einen neuen Staat in Nordafrika.
Diese abscheuliche Idee ist nicht neu! Sie ist hundert Jahre alt. Sie ist
in erschreckender Art und Weise eine Kopie eines Planes, den es
bereits einmal gab. Damals bei den alten Nazis vor knapp 90 Jahren
hieß er „Madagaskar Plan“ und bedeutet nicht mehr oder weniger als
die zwangsweise Deportation von Juden aus Deutschland auf die
Insel vor Afrika.
Der Plan war „Juden raus aus Deutschland“. Als dieser Plan nicht
funktionierte, griffen die Nazis zu anderen Mitteln. Erst wurden
Jüdinnen und Juden in Ghettos gepfercht, dann in
Konzentrationslager gebracht und schließlich systematisch ermordet.
Geplant mit wohlfeilen Worten wie „Evakuierung“ statt
„Deportation“ und „Lösungsmöglichkeiten“ statt „systematischer
Vernichtung“, auch auf einem Treffen in einer Villa an der Havel, auf
der berüchtigten Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942.
Wer heute über millionenfache „Remigration“ schwadroniert, meint
nichts anderes als die alte Nazi-Forderung „Ausländer raus aus
Deutschland“. Wenn heutzutage also in konspirativen Treffen
ernsthaft darüber gesprochen wird, millionenfach Menschen aus
Deutschland nach Nordafrika zu schicken, dann erinnert das an die
damaligen Deportationspläne der Nationalsozialisten für europäische
Juden.
Wenn dabei auch darüber nachgedacht wird, Ausländer-Freunde,
dazu zählen sie mich, gleich mit auf diese Insel zu schicken, dann ist
das nichts anderes als der nächste Schritt, nämlich auch
Andersdenkende zu deportieren.
Was brauchen wir eigentlich noch? Was brauchen wir eigentlich
noch, um zu erkennen, dass es in Deutschland wieder eine NaziPartei gibt, deren Spitze an Treffen teilnimmt, die an Ideologien und
Ideen aus der dunkelsten Zeit unserer Geschichte anknüpfen will? An
Ideen, die am Ende unserer Demokratie in die Diktatur geführt
haben. Wer glaubt eigentlich noch, dass, wenn wir sie nicht stoppen,
die neuen Nazis ihre Ziele nicht umsetzen und dazu am Ende genauso
wie vor 90 Jahren unsere Demokratie aushöhlen wollen?
Die Bedrohung unserer Demokratie und unserer Gesellschaft darf
nicht länger verharmlost werden! Lassen Sie uns Klartext reden: Eine
Kuh ist eine Kuh. Und kein Tier zur Milchaufbewahrung. Und ein Nazi
ist ein Nazi. Kein Rechtspopulist. Kein Wutbürger. Ein Nazi.
Wir dürfen nicht länger so tun, als wäre das, was wir erleben, der
Protest der Abgehängten, der Frustrierten, der Unzufriedenen.
Ja, es gibt Protest im Land. Ja, es gibt Unzufriedenheit, der man sich
stellen muss. Wir Politiker müssen zuhören.
Ich stelle mich selbst auf Bürgerversammlungen, in Sprechstunden,
bei Bürgerspaziergängen dem Dialog. Wir müssen zuhören,
annehmen, bereit sein zu verändern und Kompromisse für ein
Miteinander in der Gesellschaft suchen. Denn die Welt ist nicht
schwarz/weiß – sie ist so Bunt wie unser Aufruf-Plakat, dass ihr
hundertfach im Netz geteilt habt.
Aber wir erleben, wie die neuen Nazis Proteste versuchen immer
wieder zu unterwandern. Zum Beispiel indem sie Bauern erzählen, sie
wären an ihrer Seite, obwohl im Grundsatzprogramm der AFD der
Abbau der Agrarsubventionen gefordert wird. Wir müssen die
Gefahr, die gut vernetzte Rassisten und die vom Verfassungsschutz
als Verdachtsfall eingestufte AfD für dieses Zusammenleben
darstellen ernst nehmen – jetzt mehr denn je!
Das heißt nicht, dass wir alle in allen Fragen wie sich unser Land, wie
sich unsere Stadt entwickelt dieselbe Meinung haben.
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier hat eine Aussage geprägt:

„Demokratie bedeutet zu akzeptieren, dass auch der andere Mal
Recht haben kann.“
Wir sind die Mitte, wir sind links und rechts davon. Wir befinden uns,
wenn wir Politik machen, im demokratischen Wettstreit um die
besseren Ideen. Wir haben als Wählerinnen und Wähler die Auswahl,
können als Politikerinnen und Politiker gewählt und abgewählt
werden.
Aber solange wir Verantwortung tragen, müssen wir bereit sein, im
Interesse des Miteinanders Kompromisse zu suchen.
Herbert Frahn, der 1933 mit 19 Jahren vor den Nazis ins Exil nach
Norwegen flüchten musste und zu seinem Schutz vor den Nazis
seinem neuen Namen Willy Brand annahm, mit dem er Regierender
Bürgermeister, später Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger
wurde, hat einmal gesagt: „Der Kompromiss ist die Seele der Politik.“
Wir müssen in der Mitte der Gesellschaft, das gilt auch für unsere
Stadtgesellschaft, zusammenfinden und Lösungen und Kompromisse
finden. Nur, dazu muss die Mitte der Gesellschaft noch stark genug in
den Parlamenten sein, um Kompromisse zu suchen. Darauf wird es in
diesem Jahr der Wahlen ankommen. Die Mitte der Gesellschaft stark
zu halten. Sonst gibt es keine Gemeinsamkeiten bei Lösungen.
Liebe Potsdamerinnen und Potsdamer, in unserer Stadt stellt sich das
Bündnis Potsdam! bekennt Farbe in der ganzen Breite der
Stadtgesellschaft auf und stellt sich entschieden gegen Gewalt- und
Vertreibungsfantasien.
Potsdam bekennt Farbe – unter diesem Motto tritt unser Bündnis aus
mittlerweile 58 Vereinen und Organisationen für eine tolerante und
offene Stadtgesellschaft ein. Wenn wir öffentlich gemeinsam
auftreten, dann tun wir dies so bunt und vielfältig wie wir sind –
deutlich sichtbar mit unseren farbigen Schals.
Wir stehen hier heute nicht zum ersten Mal. Wir tragen nicht zum
ersten Mal unsere bunten Schals. Wir haben uns gegen jeden rechten

Aufmarsch seit zwei Jahrzehnten in unserer Stadt erfolgreich
gewehrt. Egal ob NPD, AFD oder Pogida – wir haben gezeigt – Potsdam
versteckt sich nicht – Potsdam hält nicht still – Potsdam überlässt
Rechtsradikalen nicht die Straße und nicht die Köpfe – Potsdam
bekennt Farbe.
Denn man kann etwas tun! Wir waren immer sichtbar – durch unsere
Schals. Keine graue Masse – sondern eine Gruppe mit bunten Farben,
so bunt, so vielfältig wie unsere Stadtgesellschaft. Heute haben wir
die letzten Schals aus den Lagern geholt – aber wir werden neue
herstellen, denn wir werden sie brauchen um sichtbar Farbe zu
bekennen. Schals in allen Farben. Eine bunte Vielfalt die verbindet.
Schals die signalisieren – wir gehören dazu – wir gehören zu denen,
die sich dagegenstellen.
Ich bin stolz, Oberbürgermeister einer solchen Stadt sein zu dürfen.
Aber wir stehen mehr denn je vor einer viel zentraleren Frage. Einer
Frage die nicht an der Stadtgrenze aufhört: Was macht unser Land
aus? Was wollen wir sein? Ich bin überzeugt, die Mehrheit unserer
Gesellschaft hat die richtigen und notwendigen Lehren aus der
Vergangenheit gezogen.
Unser Land wurde durch die alten Nazis und eine
menschenverachtende Ideologie in den Abgrund gezogen. Wir
bekamen damals eine neue Chance. Wir nutzen sie. Verspielen wir sie
nicht. Heute leben wir in einer Stadt und in einem Land der
Möglichkeiten.
Ich will das dies auch in Zukunft so ist. Wir lassen unser Land nicht
durch die neuen Nazis und dieselbe menschenverachtende Ideologie
nicht erneut in einen Abgrund ziehen. Deswegen bin ich heute hier.
Mein Sohn kämpfte an diesem Wochenende für sportliche Erfolge. Im
Sport spielt die Hautfarbe keine Rolle. Im Sport geht es um das faire
Kräftemessen nach einem klaren Regelwerk.
Lassen Sie uns gemeinsam das Regelwerk unserer Gesellschaft, unser
Grundgesetz verteidigen. Ich kämpfe hier um unseren

stadtgesellschaftlichen Zusammenhalt und um die Botschaft:
Potsdam bekennt Farbe. Potsdam wehrt sich! Das Land wehrt sich!
Deutschland bekennt Farbe!
Lassen sie uns überall in Deutschland Farbe bekennen. Die nächsten
Demonstrationen sind bereits angemeldet. Lasst uns in Verbindung
treten und Farbe bekennen. Sichtbar – keine graue Masse – sondern
eine Gruppe vielfältig mit bunten Farben, so bunt, so vielfältig wie
unser Land, wie unsere Gesellschaft – wie unsere Schals.
Als bunte Vielfalt, die verbindet. Als bunte Vielfalt, die zeigt – wir
gehören zusammen. Als bunte Vielfalt, die sich den neuen Nazis
entgegenstellt. Dafür stehen wir heute gemeinsam hier. Dafür
bekennen wir hier heute Farbe! Und Dafür danke ich Ihnen und Euch!

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