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Prägende Kriegserfahrungen eines Künstlers der Leipziger Schule

Geschundene Menschenkörper; ringende, fliehende, frierende Leiber; Landschaften, die mit Angstschweiß zu verschmelzen scheinen: Das Thema  der am Mittwoch im Kunst-Geschoss eröffneten Ausstellung ist der Krieg. Die ausgestellten Zeichnungen aus dem Zyklus „La Grande Guerre“ stammen aus dem Atelier von Gerhard Kurt Müller (*1926 †2019).
Der Krieg gehörte aus eigener Lebenserfahrung zum immerwährenden Thema des Leipziger Künstlers, der als Professor und Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst zu den prägenden Persönlichkeiten der „Leipziger Schule“ zählt. Der Einsatz als Fallschirmjäger im Zweiten Weltkrieg und die Kampfhandlungen bei der Landung der Alliierten in der Normandie waren prägende Lebenserfahrungen des Künstlers.
In französischer Kriegsgefangenschaft hatte er erste Kontakte mit dem Kriegsroman „Das Feuer“ von Henri Barbusse.  In Barbusse, der im Ersten Weltkrieg als französischer Soldat in die großen Schlachten in Flandern, Verdun und an der Somme verwickelt war, sah Gerhard Kurt Müller einen geschichtlichen Leidensgenossen.
„Beide entkamen den unmenschlichen Wirren der Kampfhandlungen und nutzten ihre künstlerischen Ausdrucksformen zur Verarbeitung des Erlebten“, so der Kurator des Kunst-Geschosses, Frank W. Weber. Bereits in den 1970er-Jahren schuf Gerhard Kurt Müller größere Holzschnitte und Plastiken zum Roman von Barbusse.
Die prägende Erfahrung des Krieges ließ den Künstler nicht mehr los. In den Jahren 2002 und 2003 holte den nunmehr 77-Jährigen die Vergangenheit nochmals ein. Mit Feder, Stift, Ölpastell und Aquarell entstand ein zeichnerisches Werk von insgesamt 80 Zeichnungen, die das Thema für ihn am eindrücklichsten darstellen ließen.
Gerhard Kurt Müller fasste die Blätter zum Zyklus „La Grande Guerre“ zusammen, jener Bezeichnung der Franzosen für den Ersten Weltkrieg. Ein Teil davon ist jetzt in Werders Stadtgalerie zu sehen. Ergänzt werden die Zeichnungen mit plastischen Arbeiten aus dem thematischen Umfeld.
„Das künstlerische Werk von Gerhard Kurt Müller in knappe Worte zu fassen scheint unmöglich. Malerei, Grafik und Skulptur sind für ihn gleichwertige Ausdrucksformen“, sagt Frank W. Weber. „Seine plastisch und reliefartig wirkende Malerei und die Reduktion der Figur mit expressiver Steigerung ihrer Bewegungen, der Hang zur Monumentalität und eine handwerklich perfekte Malhaut waren sein Markenzeichen.“
Als vor zweieinhalb Jahren die Vorbereitungen für die Ausstellung in Gang gesetzt wurden, standen die Vermittlung der künstlerischen Inhalte des Zeichnungswerkes von Gerhard Kurt Müller im Mittelpunkt. „Der 24. Februar 2022 transferierte das Ausstellungskonzept in die brutale Wirklichkeit – Aggressionskrieg in Europa“, so Frank W. Weber.
Der Kurator dankte der Lebenspartnerin von Gerhard Kurt Müller, Frau Ilse Stein und der Gerhard-Kurt-Müller-Stiftung Leipzig für die offene Zusammenarbeit. Ilse Stein ließ es sich nehmen, bei der Eröffnung in Werder selbst dabei zu sein.
Ihren früheren Lebenspartner beschrieb sie als Menschen, der kein Interesse an der Spaßgesellschaft zeigte. „Er stellte die Ernsthaftigkeit der Welt heraus.“ Durch den Krieg in der Ukraine hätten die Arbeiten aus Müller Kriegs-Zyklus, die sie im Kunst-Geschoss „so gut wie noch nie“ präsentiert sieht, zusätzlichen Auftrieb erhalten.
Ihren Dank für die Arbeit von Frank W. Weber äußerte auch Bürgermeisterin Manuela Saß. „Immer wieder gelingt es unserem Kurator, die Werke der ausgestellten Künstler ausdrucksstark in unserer Stadtgalerie zur Geltung zu bringen.“
Staatsminister Carsten Schneider, Beauftragter der Bunderegierung für Ostdeutschland, sendete folgende Worte an die Ausstellungsbesucher:
„Die künstlerische Auseinandersetzung mit den elementaren Erfahrungen des Krieges kann die gesellschaftliche Debatte über Krieg wachhalten. Gerade Deutschland, in dem wir seit dem Zweiten Weltkrieg in einer, historisch gesehen, sehr langen Phase des Friedens, der Sicherheit und Wohlstands leben konnten, müssen wir uns die Schrecken des Krieges immer wieder vor Augen führen.
Die Situation in der Ukraine nach dem Überfall durch Putins Regime zeigt uns, wie fragil sicher geglaubte Errungenschaften der Zivilisation sein können. Nach dieser Zeitenwende hat die deutsche Öffentlichkeit begonnen, über diesen Krieg und die Rolle Deutschlands bei der Beendigung, durch Waffenlieferungen, Sanktionen, aber auch diplomatische Mittel zu diskutieren.
Vorherige Gewissheiten und Standpunkte werden dabei hinterfragt, neue politische Positionen gesucht und gefunden. Es würde mich freuen, wenn diese Ausstellung dazu beiträgt, diese Debatte in Werder und dem Umland mit weiteren Impulsen zu versehen.“
Die Ausstellung ist bis 27. August immer Donnerstag, Samstag und Sonntag von 13 bis 18 Uhr im Kunst-Geschoss Werder (Havel), Uferstraße 10, zu besichtigen. Sie wird von der Gerhard-Kurt-Müller-Stiftung Leipzig unterstützt.
Zu jeder vollen Stunde wird ein 49-minütiger Dokumentarfilm über Gerhard Müller von Ulrich und Brunhilde Windoffer gezeigt.

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