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Verwaltungsgericht Dresden weist zwei Klagen von AfD-Mitgliedern gegen das Landesamt für Verfassungsschutz des Freistaats Sachsen ab

Zwei Klageverfahren von Mitgliedern der »Alternative für Deutschland« (AfD), die dem im April 2020 aufgelösten »Flügel« zuzurechnen waren, gegen den Freistaat Sachsen – vertreten durch sein Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) – blieben erfolglos. Die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Dresden wies beide Klagen nach am heutigen Tag durchgeführten mündlichen Verhandlungen ab (Az. 6 K 753/21 und 6 K 620/22).
Im Verfahren zum Aktenzeichen 6 K 753/21 ging es zunächst um die Frage, ob der Kläger, ein Mitglied des Sächsischen Landtags, einen Anspruch darauf hat, dass das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) die über ihn gesammelten und ausgewerteten personenbezogenen Erkenntnisse vernichten muss und künftig solche Erkenntnisse nicht weiter sammeln, auswerten und speichern darf. Der Kläger machte im Wesentlichen geltend, seine Beobachtung durch das LfV und die Sammlung personenbezogener Informationen greife in seine Abgeordnetenstellung ein und verletze sein Recht zur unbehinderten Ausübung des freien Mandates.
Dieser Argumentation folgte das Gericht nicht und stellte fest, dass sich das LfV im Rahmen seiner ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgabenerfüllung bewegt habe. Danach dürften personenbezogene Daten gespeichert und genutzt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen oder Tätigkeiten des Betroffenen vorliegen oder dies für die Erforschung und Bewertung solcher Bestrebungen erforderlich ist. Die Behörde habe die Aufgabe, Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten, die unter anderem gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Dafür dürften auch personenbezogene Daten verarbeitet werden, wobei auch keine Ausnahmen für Mitglieder des Bundestags oder eines Landtags zu machen seien. Der besonderen Schutzwürdigkeit von Abgeordneten werde dadurch Rechnung getragen, dass eine Beobachtung dieses Personenkreises verhältnismäßig sein müsse. Diese Voraussetzungen lägen sämtlich vor. Das Landesamt habe den »Flügel« der AfD, dem der Kläger zuzurechnen gewesen sei, zu Recht als Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eingestuft. Insbesondere lägen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass der »Flügel« darauf gerichtet gewesen sei, das Mehrparteiensystem und die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte außer Geltung zu setzen. Die vorliegenden Erkenntnisse zum »Flügel« böten auch hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass gegen den Kläger selbst der Verdacht von Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bestehe. Dies werde zudem von seinen eigenen Äußerungen, etwa in sozialen Medien, verstärkt. Der Sammlung und Speicherung von Erkenntnissen stehe auch das Recht der Meinungsfreiheit nicht entgegen. Es sei verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn die Verfassungsschutzbehörde bei der Sammlung und Verwertung von Erkenntnissen an die Inhalte von Meinungsäußerungen anknüpfe, soweit diese Ausdruck eines Bestrebens seien, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Dabei habe die Behörde allerdings zu berücksichtigen, dass Äußerungen eines Abgeordneten innerhalb des Parlaments durch seine Indemnität zu respektieren seien. Dies sei hier geschehen, weil die fraglichen Äußerungen des Klägers keinen parlamentarischen Bezug aufwiesen.
Im Verfahren zum Az. 6 K 620/20 hatte das Gericht die Frage zu klären, ob der Kläger – ein ehemaliger Richter und ehemaliger Abgeordneter des Deutschen Bundestags – einen Anspruch auf Unterlassung oder Widerruf der in den Verfassungsschutzberichten 2020 und 2021 über ihn getätigten Aussagen hat.
In den Verfassungsschutzberichten für die Jahre 2020 und 2021 wird der Kläger jeweils im Kapitel »Aktuelle Entwicklungen in den Extremismusbereichen«, Unterkapitel Rechtsextremismus erwähnt. Im Bericht für das Jahr 2020 ist er unter der Überschrift »Der Flügel – Extremistischer Personenzusammenschluss innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD)« als »Obmann« dieses »Flügels« bezeichnet. Im Bericht für das Jahr 2021 heißt es unter der Überschrift »Pegida«, dass der Kläger auf einer PEGIDA-Veranstaltung in Dresden neben dem thüringischen Landesvorsitzenden der AfD als Gastredner aufgetreten sei. Nachdem der Kläger beim Landesamt für Verfassungsschutz erfolglos die Löschung der ihn betreffenden Angaben in den Berichten gefordert hat, verfolgte er sein Begehren klageweise weiter. Er verlangt vom Landesamt unter anderem, es zu unterlassen, ihn im Verfassungsschutzbericht namentlich zu nennen und über ihn zu berichten sowie ihn als »Obmann« des »Flügels« nach dessen Auflösung zu bezeichnen.
Die Klage blieb ebenfalls ohne Erfolg. Die Kammer stellte klar, dass der Bürger einen aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht hergeleiteten Unterlassungsanspruch gegen unrichtige oder das Persönlichkeitsrecht verletzende staatliche Behauptungen hat. Dem stehe allerdings die Verpflichtung des Verfassungsschutzes gegenüber, (auch) die Öffentlichkeit zu informieren, wenn »hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen Person oder Gruppe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung« vorlägen. Dafür dürften im Rahmen des jährlichen Verfassungsschutzberichts personenbezogene Daten bekannt gegeben werden, wenn dies für die Unterrichtung der Öffentlichkeit erforderlich sei und das Informationsinteresse der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiege. Diese Voraussetzungen sah das Gericht als gegeben an. Hinsichtlich der Einstufung des »Flügels« kann insoweit auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Für diesen ist der Kläger als »Obmann« öffentlich in Erscheinung getreten. Auch in seinem Fall lägen damit hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor. Die konkrete Art und Weise der Erwähnung des Klägers im Verfassungsschutzbericht sei auch im Licht der Meinungsfreiheit verhältnismäßig und nicht zu beanstanden. Seine namentliche Erwähnung erscheine insbesondere für die Unterrichtung der Öffentlichkeit erforderlich. Es überwiege das Informationsinteresse der Allgemeinheit gegenüber schutzwürdigen Interessen des Klägers. Dieser sei in Sachsen prominenter Vertreter des »Flügels« gewesen. Es bestehe ein öffentliches Interesse an seiner Person als ehemaligem Bundestagsabgeordneten und pensioniertem Richter. Er sei demgegenüber weniger schutzwürdig, weil er seine Zugehörigkeit zum »Flügel« freiwillig öffentlich offenbart und sich außerdem im öffentlichen politischen Meinungskampf exponiert habe.
Die Urteile sind nicht rechtskräftig, die Beteiligten können jeweils binnen eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils einen Antrag auf Zulassung der Berufung beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht in Bautzen stellen.

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