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Demokratiehammer in diesen Zeiten: Kreis Barnim will Direktwahl des Migrationsbeirates aus Kostengründen abschaffen

Mit Erschütterung hat der Beirat für Migration und Integration des Landkreises Barnim die erneuten Pläne der Kreisverwaltung zur Kenntnis genommen, wonach die Direktwahl des Beirates abgeschafft werden soll. Bisher wählen die im Barnim lebenden Menschen mit Migrationshintergrund ihre Vertretung selbst. Der Beirat besteht aus 9 Personen unterschiedlicher Nationalität und ist die demokratische Repräsentation der Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Damit soll nun Schluss sein. Die Kreisverwaltung will den Migranten und Flüchtlingen das Wahl- und Selbstbestimmungsrecht nehmen und in Zukunft den Kreistag entscheiden lassen, wer die Migranten vertritt.

Der Landkreis Barnim ist landesweit dafür bekannt, einen der aktivsten Migrationsbeiräte im Land Brandenburg zu haben. So hat sich das Gremium intensiv in die Unterstützung der Integrationsbemühungen für Geflüchtete, das Unterbringungskonzept und für gute Betreuungsleistungen in Übergangswohnheimen eingebracht. Dabei hat der Beirat auch eine aktive und sichtbare Rolle im Rahmen der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge eingenommen. Die kulturellen Aktivitäten und die Unterstützung interreligiöser Maßnahmen sind besonders prägend und erreichen regelmäßig hunderte Menschen, was sich auch in der Verleihung zahlreicher Preise an die Beiratsmitglieder niederschlägt.

Hierbei spielt die Direktwahl eine entscheidende Rolle für die Identifikation und unmittelbare Partizipation. Die allermeisten Migrantinnen und Migranten verfügen über kein Wahlrecht bei den allgemeinen Wahlen. Deswegen ist es wichtig, ein Selbstbestimmungs- und Mitbestimmungsrecht bei der Auswahl der eigenen Vertreter zu haben.

Alle seriösen migrationspolitischen und soziologischen Forschungen gehen davon aus, dass das unmittelbare Selbstbestimmungsrecht als fundamentales Menschenrecht eine entscheidende Grundlage für eine auf den Werten von Toleranz und Mitmenschlichkeit aufbauende und gelingende Integration ist. Dabei spielt auch der demokratische Aspekt einer selbstbestimmten Wahl eine maßgebende Rolle, die regelmäßig mehr Akzeptanz schafft als eine Drittauswahl. Auch ist nur sie Ausdruck eines echten Selbstverwaltungsrechts.

Gerade in einer Phase der erheblichen Erhöhung der Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund im Land ist es ein wichtiges Zeichen, die fortschrittlichste und nachweislich wirkungsvollste Form der Vertretung beizubehalten. In einer Zeit der wachsenden Spannungen in der Gesellschaft ist es umso wichtiger, allen Migrantinnen und Migranten eine volle Mitwirkungsmöglichkeit zu geben bzw. diese zu belassen.

Erschütternd und geradezu grotesk ist die Erklärung der Kreisverwaltung, warum man die Wahl abschaffen müsse. So heißt es in der Vorlage unter anderem: „Da die Anzahl der Personen mit nicht deutscher Staatsangehörigkeit weiter gestiegen ist und weiter steigen wird, ist eine Vereinfachung des Verfahrens schon aus dem Grund der Wirtschaftlichkeit und Effizienz notwendig geworden.“ Die steigende Zahl an Menschen mit Migrationshintergrund soll also dazu führen, dass weniger Mitbestimmung herrschen und die Wahl ernsthaft aus Erwägungen der „Wirtschaftlichkeit“ abgeschafft werden soll. Demokratie kostet nun mal Geld. Nirgendwo in einem freiheitlichen Rechtsstaat kommt man auf die Idee, Wahlen abzuschaffen, weil das Papier der Wahlzettel zu viel kostet. Zudem heißt es weiter – ohne jeden Beleg – dass manche die Wahlaufforderung als zu „kompliziert“ empfanden und man nur dann mehr Menschen zum Mitmachen bewegen könne, wenn „einfach gehalten[e Wahlformate]“ zur Anwendung kommen. Die Formulierung soll verschleiern, dass keine neuen Wahlformate eingeführt werden, sondern die Wahl schlichtweg abgeschafft wird. Dass sodann in der Verwaltungsvorlage Migranten als unfähig dargestellt werden, die Wahlunterlagen zu verstehen, ist mehr als besorgniserregend.

Hierzu erklärt der Vorsitzende des Beirates, Péter Vida: „Unsere Beiratsmitglieder sind geschockt. In einer Zeit, in der ausgerechnet in unserer Landeshauptstadt Potsdam Extremisten über die Deportation von Flüchtlingen fabulieren, werden sie und andere Migranten von der Kreisverwaltung stigmatisiert und um ihr Wahlrecht gebracht. Alle Demokraten rufen gerade jetzt dazu auf, zusammenzuhalten, und das zurecht. In solch einer Phase Menschen das Selbstbestimmungsrecht zu nehmen, ist unerträglich.“


In Zukunft soll also der Personenkreis der Kreistagsabgeordneten darüber entscheiden, wer die Vertreter eines anderen Personenkreises, nämlich der Migrantinnen und Migranten, werden sollen.

Dabei hat eine angebliche, von der Kreisverwaltung behauptete, „Evaluation“ nicht stattgefunden. Der Beirat hat bereits im Oktober 2023 eine einstimmige Resolution zum Erhalt der Direktwahl verfasst, Vorschläge zur Erhöhung der Wahlbeteiligung unterbreitet, und dieses Papier der Kreisverwaltung übersandt. Doch diese hat die Resolution nicht an die Kreistagsabgeordneten weitergeleitet und sie in der Verwaltungsvorlage nicht einmal erwähnt.

Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Barnim, Diana Sandler, zeigt sich ebenfalls betroffen: „Ich habe immer in der jüdischen Community für diese Wahl geworben. Viele haben sich gefreut, mitentscheiden zu können. Uns diese Möglichkeit zu nehmen, versteht hier keiner. Warum werden wir so diskriminiert?“


Der Beirat für Migration und Integration richtet einen Hilferuf an die Öffentlichkeit, um den Erhalt von Partizipation, Mitbestimmung und Demokratie für Flüchtlinge und alle Migranten zu ermöglichen. Die intensive Integrationsarbeit darf nicht bestraft und herabgewertet werden.

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