Brandenburg

Länder und Bund gemeinsam für Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe bei Gewalt

  1. Gleichstellungs- und Frauenminister:innenkonferenz der Länder in Potsdam – Gleichberechtigte politische Teilhabe von Frauen ein Schwerpunkt – Nonnemacher: „Gleichstellung ist kein Selbstläufer“

Die 33. Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister sowie -senatorinnen und -senatoren der Länder (GFMK) ist in Potsdam zu Ende gegangen. Zentrale Themen der zweitägigen Konferenz waren gleichberechtigte politische Teilhabe von Frauen, Schutz vor Gewalt und Ausbau von Hilfestrukturen, Entgeltgleichheit von Frauen und Männern sowie Geschlechtergerechtigkeit im Strukturwandel. Am Ende wurde eine Entschließung aller Länder gegen Sexismus und Gewalt an Frauen beschlossen. Das Land Brandenburg hat in diesem Jahr den Vorsitz der GFMK.

Mit dem Leitantrag „Gleichberechtigte politische Teilhabe von Frauen realisieren“ weist die GFMK auf die immer noch deutliche Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik hin. Obwohl mehr als die Hälfte der Bevölkerung weiblich ist, sind Frauen in gesellschaftlichen Entscheidungsebenen nach wie vor unterrepräsentiert. Die Länder erwarten verstärkte Anstrengungen, den Verfassungsauftrag der Gleichberechtigung von Frauen und Männern umzusetzen und verfassungskonforme Lösungen zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in Parlamenten und Entscheidungsgremien zu finden.

Brandenburgs Frauenministerin und GFMK-Vorsitzende Ursula Nonnemacher: „In Deutschland sind Frauen und Männer nach dem Grundgesetz rechtlich gleichgestellt. Aber in der Lebensrealität gibt es noch immer viele Benachteiligungen. Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Politik ist ein dringendes Anliegen zur Förderung einer gerechten Gesellschaft. Wenn Frauen bei wichtigen Entscheidungen und Abstimmungen weiterhin so unterrepräsentiert sind, werden ihre Stimmen und Perspektiven nicht angemessen gehört, was zu einer massiven Verzerrung des demokratischen Prozesses führt. Das können wir nicht länger hinnehmen. Diese Situation verdeutlicht, dass Gleichstellung kein Selbstläufer ist. Lippenbekenntnisse allein bringen nichts. Entscheidende Schlüssel sind die Stärkung der rechtlichen Rahmenbedingungen und eine zeitgemäße politische Umgangskultur.“

Die Konferenz begrüßt das Vorhaben der Bundesregierung, einen bundeseinheitlichen Rechtsanspruch für von häuslicher Gewalt betroffene Personen auf Schutz und Hilfe zu schaffen.

Bundesfrauenministerin Lisa Paus erklärte dazu in Potsdam: „Gewalt gegen Frauen gehört auch in Deutschland zur bitteren Realität und sie betrifft alle Gesellschaftsschichten. Frauen brauchen verlässlichen Schutz vor häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt. Und sie brauchen gute und fachliche Beratung. Jeden Tag arbeiten zahlreiche Schutzeinrichtungen und Fachberatungsstellen hochqualifiziert und engagiert für den Schutz von Frauen und dennoch: Der Ist-Zustand reicht nicht. Weiterhin finden nicht alle Frauen mit ihren Kindern die Hilfe, die sie brauchen. Wir müssen den staatlichen Schutzauftrag besser ausfüllen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, denn Schutz darf keine Frage des Wohnortes, der körperlichen Verfassung oder des Aufenthaltsstatus sein. Schutz darf auch keine Frage des Einkommens oder der Muttersprache sein. Mein Haus arbeitet aktuell an einem Gesetz, mit dem wir das Recht insbesondere gewaltbetroffener Frauen auf Schutz und Beratung absichern wollen.“

Das Land Baden-Württemberg, das im nächsten Jahr den Vorsitz der 34. GFMK übernimmt, macht mit dem Antrag „Verbesserung des Gewaltschutzes bei geschlechtsspezifischer digitaler Gewalt im sozialen Nahraum“ darauf aufmerksam, dass die Bedrohung von Frauen und insbesondere Mädchen durch digitale Gewalt eine wachsende Herausforderung darstellt.

Dr. Ute Leidig, Staatssekretärin im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration des Landes Baden-Württemberg, erklärte dazu: „Häusliche Gewalt wird im digitalen Raum fortgesetzt, erweitert und verstärkt. Wir Länder haben auf Antrag von Baden-Württemberg den Bund aufgefordert, sich diesem Gewaltphänomen gemeinsam mit uns konsequent anzunehmen, Sichtbarkeit durch Zahlen zu schaffen und die digitale Gewalt und deren Geschlechtsspezifität im Rahmen rechtlicher Regelungen miteinzubeziehen. Denn Gewalt ist immer noch eine der größten Hürden auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter.“

Gleichberechtigte Teilhabe

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich. Dennoch sind Frauen in gesellschaftlichen Entscheidungsebenen von Wirtschaft, Medien, Wissenschaft und Kultur nach wie vor unterrepräsentiert. Besonders zeigt sich dies in Parlamenten und politischen Ämtern auf allen Ebenen. Noch nie gab es ein Parlament in Deutschland, das annähernd paritätisch mit Frauen und Männern besetzt war. Über 100 Jahre nach Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts für Frauen liegt der Frauenanteil im Bundestag derzeit bei rund 35 Prozent. Auch in den Landesparlamenten und kommunalen Vertretungen haben Frauen durchschnittlich nur rund ein Drittel der Mandate inne. Weniger als jedes zehnte Rathaus wird von einer Bürgermeisterin geführt und in lediglich 33 der 294 deutschen Landkreise (knapp neun Prozent) standen 2021 Landrätinnen an der Verwaltungsspitze.

GFMK-Vorsitzende Nonnemacher: „Gerade die Kommunalpolitik ist für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen eine wichtige Stellschraube. In der Kommune wird Demokratie unmittelbar relevant. So kann die weibliche Perspektive in der Gemeindevertretung auch ganz gezielt gleichstellungsrelevante Unterschiede machen, beispielsweise in Form von Treffpunkten für Migrantinnen, dem Ausbau von Geh- und Fahrradwegen oder der Gestaltung von Wohngebieten.“

Quoten und paritätische Initiativen fördern: Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes lautet: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Diesen Verfassungsauftrag sollen Quotenregelungen bzw. paritätische Initiativen umsetzen. Das Bundesgleichstellungsgesetz und das Bundesgremienbesetzungsgesetz sind Beispiele für gesetzliche Regelungen zur Steigerung der Teilhabe von Frauen in Führungspositionen. Die GFMK erwartet vom Bund verstärkte Anstrengungen, diesen Verfassungsauftrag umzusetzen und verfassungskonforme Lösungen zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in Parlamenten und Entscheidungsgremien zu finden.

Der Leitantrag „Gleichberechtigte politische Teilhabe von Frauen realisieren“ wurde mit großer Mehrheit ohne Gegenstimme beschlossen. Damit fordert die GFMK ein geschlossenes Handeln von Bund, Ländern und Kommunen sowie den kommunalen Spitzenverbänden, um die politische Teilhabe von Frauen durchzusetzen und die dafür notwendigen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Konferenz appelliert an alle Akteurinnen und Akteure – Parteien, Fraktionen, Parlamente, Verbände und Vereine – ihre Arbeits-, Kommunikations-, Beteiligungs- und Entscheidungsstrukturen geschlechtergerecht, zeitgemäß und demokratiefest auszurichten.

Schutz vor Gewalt

Mit mehreren Beschlüssen will die GFMK Frauen und ihre Kinder vor häuslicher und sexualisierter Gewalt besser schützen.

Ausbau von Frauenhäusern: Die Konferenz spricht sich für eine Verlängerung des Bundesinvestitionsprogramms „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ aus. Mit diesem Programm fördert die Bundesregierung von 2020 bis 2024 den baulichen Ausbau von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen. Es ist eine wichtige Maßnahme zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland. Die GFMK weist darauf hin, dass der Bedarf an Investitionsmitteln bei den Einrichtungen des Hilfesystems weiter hoch ist. Sie fordert die Bundesregierung daher auf, das Bundesinvestitionsprogramm über 2024 hinaus fortzuführen und in den Bundeshaushalten angemessene Mittel für die Förderung investiver Maßnahmen zum Um-, Aus- und Neubau sowie zur Sanierung der Hilfseinrichtungen vorzusehen.

Verbesserung des Gewaltschutzes bei geschlechtsspezifischer digitaler Gewalt im sozialen Nahraum: Digitale Gewalt und die damit einhergehenden Herausforderungen sind in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Während digitale Gewalt in Form von Hate Speech immer stärker in das öffentliche und wissenschaftliche Bewusstsein gerückt ist, wird dem Themenkomplex der digitalen Gewalt im sozialen Nahraum bisher deutlich weniger Beachtung geschenkt. Davon sind Frauen und insbesondere Mädchen betroffen. Die GFMK fordert die Bundesregierung auf, eine repräsentative, empirische Studie zu Gewalt gegen Frauen vorzulegen, in der digitale Gewalt im sozialen Nahraum explizit untersucht wird, um betroffene Frauen in Zukunft besser unterstützen und wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen entwickeln zu können.

Absicherung des Rechts auf Schutz und Beratung in Umsetzung der Istanbul-Konvention: Die Bundesregierung beabsichtigt in dieser Legislaturperiode, das Recht auf Schutz in geeigneten Einrichtungen sowie fachkundige Beratung bei geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und bei häuslicher Gewalt bundesrechtlich abzusichern. Die GFMK begrüßt dieses Vorhaben und bittet das Bundesfrauenministerium, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Die GFMK bekräftigt den Willen der Länder, in den kommenden Jahren das Hilfesystem für von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffene Frauen sowie von häuslicher Gewalt betroffene Personen und ihren Kindern so auszugestalten, dass jede Frau verlässlich unterstützt wird sowie alle weiteren Opfer häuslicher Gewalt Unterstützung erfahren können. Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich an den notwendigen Kosten für den Ausbau der Einrichtungen sowie für den Verwaltungsaufwand im Hilfesystem angemessen zu beteiligen. Die GFMK sieht den Bund, die Länder und die Kommunen in der gemeinsamen Verantwortung für die dauerhaft auskömmliche Finanzierung einer tragfähigen Infrastruktur des Hilfesystems.

Gemeinsam gegen Sexismus

Die Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister, -senatorinnen und -senatoren der Länder hat die aktuell veröffentlichten Ergebnisse der Befragung „Spannungsfeld Männlichkeit“ von Plan International mit großer Besorgnis zur Kenntnis genommen. Besonders erschreckend ist die hohe Akzeptanz von Gewalt gegenüber Partnerinnen unter den befragten jungen Männern. Unabhängig von der Kontroverse um die Methode dieser Befragung wird in Ergänzung zu anderen Umfragen und Studien in alarmierender Weise deutlich, dass rückwärtsgewandte, sexistische sowie homophobe Einstellungen in weiten Teilen der Bevölkerung geteilt werden.

Vor diesem Hintergrund haben alle 16 Bundesländer gemeinsam eine Entschließung gegen Sexismus und Gewalt an Frauen einstimmig beschlossen.

Die GFMK ist sich einig, dass die Beseitigung von geschlechtsbezogenen Ungleichheiten, tradiertem Frauenhass und toxischer Männlichkeit, also dem Festhalten an traditionell männlichen Denk- und Verhaltensweisen, nur durch Anstrengungen auf allen politischen und zivilgesellschaftlichen Ebenen erreicht werden kann.

GFMK-Vorsitzende Nonnemacher: „Sexismus ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Er würdigt Menschen aufgrund ihres Geschlechts herab. Um sexistisches Denken langfristig aus Köpfen und Strukturen zu verbannen, sind alle gesellschaftlichen Kräfte gefragt! Es braucht Veränderungen in der Kultur und in den Leitbildern, Richtlinien und Regeln von Unternehmen, staatlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Dazu gehören auch eine partnerschaftliche Verteilung von Sorgearbeit und das Aufbrechen von Geschlechter-Stereotypen.“

Am 16. Februar 2023 hat Bundesgleichstellungsministerin Lisa Paus als Schirmherrin das Bündnis „Gemeinsam gegen Sexismus“ gestartet. Ziel ist es, Sexismus und sexuelle Belästigung zu erkennen und wirksame Gegenmaßnahmen zu verankern. Zur Zielgruppe der Initiative gehören Verbände, Unternehmen, Politik, Verwaltung, Medien, Kultur und Zivilgesellschaft. Internet: www.gemeinsam-gegen-sexismus.de

Entgeltgleichheit

Die Entgeltgleichheit von Frauen und Männer war erneut Thema bei der GFMK. Das Entgeltgleichheitsgebot – „Gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ – ist seit Jahrzehnten europa- und verfassungsrechtlich verankert und durch nationale Gesetze konkretisiert. Ungeachtet dessen beträgt die europa- und verfassungswidrige geschlechtsspezifische Entgeltlücke (sog. Gender Pay Gap) zwischen Frauen und Männern in Deutschland in der unbereinigten Erhebung im Jahr 2022 immer noch 18 Prozent. Mit diesem Ergebnis liegt Deutschland mit wenigen anderen Mitgliedstaaten deutlich über dem aktuellen EU-Durchschnitt von 13 Prozent.

GFMK-Vorsitzende Nonnemacher dazu: „Das Entgelttransparenz-Gesetz von 2017 hat den gravierenden Nachteil, dass die wesentlichen Elemente nur in Betrieben ab 200 Beschäftigten gelten, zum Beispiel ein Auskunftsanspruch für Beschäftigte. Wir müssen feststellen, dass das Gesetz praktisch kaum wirkt. Deshalb ist vor dem Hintergrund der Entgelttransparenz-Richtlinie der EU mit deutlich strengeren Kriterien eine Novelle des Gesetzes dringend erforderlich.“

Geschlechtergerechtigkeit im Strukturwandel

Die Gestaltung des Kohleausstiegs und des damit verbundenen Strukturwandels in Regionen wie der Lausitz oder dem Ruhrgebiet ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die Geschlechter. Frauen sind von diesem Strukturwandel besonders betroffen.

GFMK-Vorsitzende Nonnemacher: „Die Umverteilung von Ressourcen in finanziell und politisch geförderten Strukturwandelprozessen, wie aktuell in den Kohlerevieren, ist eine große Chance, ungleiche Machtverhältnisse zu überwinden. Für solche Transformationsprozesse stehen erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügung. Aber oft sind es fast ausschließlich Männer, die über die Verwendung der Gelder entscheiden. Wenn Strukturwandel gelingen soll, müssen die Interessen von Frauen von Anfang an auch beim Mitteleinsatz berücksichtigt werden. Sie sind zentrale Akteurinnen des Wandels.“

Die GFMK hob erneut die Notwendigkeit hervor, dass die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation aller mit dem Kohleausstieg verbundenen Fördermaßnahmen sowie politischen Prozesse geschlechterdifferenziert und mit einer Gleichstellungsperspektive erfolgen muss. Sie bekräftigte ihre Bitte an den Bund, in künftigen Evaluierungen und darüberhinausgehenden Forschungsaufträgen durchgängig Gender- und Gleichstellungsaspekte aufzunehmen sowie dazu ergänzend eine Studie zu vergeben, die die geschlechtsspezifischen Auswirkungen bewertet.

Hintergrund

Die Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister, -senatorinnen und -senatoren der Länder (GFMK) ist die Fachministerkonferenz, die Grundlinien für eine gemeinsame Gleichstellungs- und Frauenpolitik der Bundesländer festlegt und Maßnahmen zur Chancengleichheit und -gerechtigkeit von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen beschließt.

Die Beschlüsse zielen darauf ab, bestehende Benachteiligungen von Frauen abzubauen und Chancengleichheit in allen Lebensbereichen herzustellen. Die Beschlüsse der GFMK entfalten zwar keine unmittelbaren Rechtswirkungen, haben jedoch politische Bindungs- und Durchsetzungskraft.

Die konstituierende Sitzung fand am 7. November 1991 in Potsdam statt. Die GFMK findet einmal jährlich unter rotierendem Vorsitz statt. Nach Brandenburg wird 2024 Baden-Württemberg den Vorsitz übernehmen. Das Bundesfrauenministerium nimmt als ständiger Gast an der Konferenz teil.

Internet: www.gleichstellungsministerkonferenz.de

Kommentar verfassen