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NDR Recherche: Nur wenige Waffenbehörden in Deutschland auf Amokläufe vorbereitet

Hamburg (ots)

 

Viele Waffenbehörden in Deutschland sind offenbar nicht in der Lage, Amokläufe zu verhindern. Das zeigt die Auswertung einer bundesweiten Umfrage von NDR Info und dem Politikmagazin Panorama 3. Darin ging es um den Umgang der Waffenbehörden mit anonymen oder nicht-anonymen Hinweisen auf potenziell gefährliche Waffenbesitzer*innen. Die Auswertung der Umfrage zeige, dass die bisherigen Verfahrensregelungen zu schwerfällig seien, so der Münsteraner Polizeirechtsexperte Prof. Markus Thiel.

Anlass für die Umfrage unter allen Innenministerien der Länder sowie ausgewählten Städten und Kreisen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein war der Amoklauf in Hamburg im März 2023. Die Tat, bei der acht Menschen starben, hätte nach Auswertung öffentlicher Ermittlungserkenntnisse und deren jüngster Einordnung durch Polizeirechtsexpertinnen sowie Psychologinnen mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert werden können.

Nach Einschätzung des Polizeirechtsexperten Markus Thiel hat die bisherige Arbeitsweise der zuständigen Hamburger Waffenbehörde es dem Schützen Phillipp F. am 9. März offenbar leicht gemacht, mit einer legalen Waffe eine Versammlung der Zeugen Jehovas aufzusuchen. Insbesondere eine frühzeitige Einbindung von externen Sachverständigen wäre seiner Ansicht nach sinnvoll gewesen. Waffenbehörden registrieren nicht nur, wie viele legale Waffen in einer Stadt oder Gemeinde im Umlauf sind. Sie sollen auch verhindern, dass unberechenbare oder gefährliche Menschen Schusswaffen besitzen.

Die Hamburger Waffenbehörde wurde vor dem labilen Zustand von Philipp F. gewarnt und hätte einfachen Zugang zu Hinweisen auf seine Gewaltbereitschaft gehabt. Wäre sie den Hinweisen gewissenhaft nachgegangen und hätte auf die Expertise von Polizei und Psycholog*innen zurückgegriffen, hätte Philipp F. wohl rechtzeitig entwaffnet werden können, so die Auswertung von Thiel. Ein Vorwurf auf den die Hamburger Innenbehörde mit Verweis auf das Waffenrecht reagiert. Weitere vertiefende Risikoanalysen unter Beteiligung externer Psychologen sehe das Waffengesetz nicht vor, so die Hamburger Innenbehörde auf unsere schriftliche Anfrage. „Entsprechend gab es auch keinen fachlichen Standard oder keine fachliche Praxis der Waffenbehörde, die ein solches Vorgehen vorgesehen hätten.“

Trotz der Erkenntnissehaben ein halbes Jahr nach der Tat von zwölf Innenministerien, die im Rahmen der Umfrage geantwortet haben, nur drei berichtet,dass die Waffenbehörden im jeweiligen Bundesland ihre Arbeitsweise verändert oder Mitarbeitende für den Umgang mit anonymen Hinweisen sensibilisiert haben.

Auch in Norddeutschland haben nur wenige Waffenbehörden ihre Arbeitsweise umgestellt. Von neun Städten und neun Kreisen, die an der Umfrage teilgenommen haben, gaben nur vier an, Abläufe verändert oder Mitarbeitende sensibilisiert zu haben.

Die Umfrage zeigt: Auch heute gehört die Zusammenarbeit mit Polizei und Psycholog*innen meist nicht zum standardisierten Vorgehen zuständiger Behörden in Deutschland. Die frühzeitige Einbindung vom sozialpsychiatrischen Dienst sowie die frühzeitige Einbindung geübter Fachleute, etwa vom LKA, erfolgt jeweils nur in vier der abgefragten Bundesländer. Bei einem Großteil der Behörden werden diese Möglichkeiten nur im Einzelfall ausgeschöpft. „Auf Amokläufe sind Waffenbehörden im Grunde nicht vorbereitet“, so Polizeirechtsprofessor Thiel, „und da müssen wir uns einfach darauf verlassen können, dass die bei entsprechenden Anhaltspunkten diejenigen einschalten, die das können.“

In Hamburg hat die Innenbehörde im Juni angekündigt, die Arbeit der Waffenbehörde zu verbessern. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert nun deutlich striktere Maßnahmen. Künftig sollte jeder Hinweis ausreichen, um Waffen „unverzüglich und bis zum Abschluss der durch das Maßnahmenpaket angekündigten Risikobewertung des Landeskriminalamtes Hamburg in amtlichen Gewahrsam zu nehmen,“ so der Landesvorsitzende Jan Reinecke gegenüber Panorama 3 und NDR Info.

Für die Umfrage wurden die Innenministerien aller Bundesländer schriftlich angefragt. In Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurden in Abstimmung mit der Innenbehörde stichprobenartig Kreise und kreisfreie Städte angefragt. Von insgesamt 31 angefragten Stellen haben 30 geantwortet.

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