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ARD, SZ und ZEIT: Verdächtige dementieren Beteiligung an Nord-Stream-Anschlägen

Ein Jahr nach den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines gibt es mehrere Tatverdächtige. Sie stammen den Erkenntnissen deutscher Ermittler zufolge alle aus der Ukraine. Nach Recherchen von ARD, Süddeutscher Zeitung und ZEIT dementieren die meisten eine Tatbeteiligung.

 

Der Recherche zufolge haben Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei inzwischen mehrere Personen identifiziert, die an der Anmietung des Segelbootes „Andromeda“ in Rostock beteiligt gewesen sein sollen. Das Boot soll nach Überzeugung der Ermittler bei den Anschlägen auf die Ostsee-Pipelines im September 2022 genutzt worden sein. An Bord sollen Sprengstoffspuren sichergestellt worden sein.

 

Eine wichtige Rolle bei den Ermittlungen spielt die Bezahlung der angemieteten Yacht. Sie soll über eine polnische Briefkastenfirma erfolgt sein. Wie die Recherche zeigt, führt die Spur von diesem Unternehmen unter anderem über ukrainische Justizunterlagen zu dem Geschäftsmann Rustem A. in Kiew. Als die Reporter ihn in der Ukraine befragten, äußerte sich A. nicht zu dem Verdacht, möglicherweise an den Anschlägen auf die Pipelines beteiligt gewesen zu sein. „Ich möchte nicht mit Ihnen sprechen“, so der Ukrainer. Auf Nachfrage sagte er: „Schauen Sie mal, kennen Sie Prostituierte? Ich assoziiere Journalisten mit Prostituierten, verstehen Sie. Ich treffe mich nicht mit Prostituierten.“ Eine offizielle Anfrage ließ Rustem A. unbeantwortet.

 

Neue Erkenntnisse gibt es auch hinsichtlich der Anmietung des Bootes. Deutsche Ermittler gehen der Recherche zufolge davon aus, dass die E-Mail an den Bootsverleiher von einem Ukrainer verschickt wurde. In einem Telefonat mit den Reportern dementierte er die Vorwürfe. Er habe die „Andromeda“ nicht angemietet, so der Ukrainer: „Ich habe keine Ahnung.“

 

Der Mann soll für die Anmietung die Kopien zweier verfälschter Pässe übermittelt haben, eines rumänischen und eines bulgarischen. Das Foto auf dem rumänischen Pass zeigt nach Erkenntnissen deutscher Ermittler den Ukrainer Walerij K. Reporter von ARD, SZ und ZEIT haben im ukrainischen Dnipro mit seinem Bruder und seiner Großmutter gesprochen. Die Großmutter sagte, K. kämpfe derzeit an der Front und melde sich nur selten per Telefon: „Er bekommt derzeit viel Druck.“ Sein Bruder erklärte im Gespräch mit den Reportern: „Er war schon lange nicht mehr zuhause.“

 

Der Recherche zufolge sollen deutsche Ermittler mittlerweile erfahren haben, dass Walerij K. eine Beteiligung an der Nord-Stream-Sabotage bestreitet. Deutsche Sicherheitsbehörden schließen nicht aus, dass seine Identität gestohlen wurde. Die ukrainische Regierung ließ eine Anfrage der drei Medien unbeantwortet. Kiew hatte eine Beteiligung stets zurückgewiesen.

 

Der bulgarische Pass soll der Recherche zufolge auf den Namen „Mihail Popov“ – eine falsche Identität – ausgestellt gewesen sein. Ein Mann mit diesem Pass, der mutmaßlich als Skipper der Segelyacht agierte, soll auch bei einem Zwischenstopp in Polen von der dortigen Küstenwache als Crewmitglied protokolliert worden sein. Die Crew hat offenbar Mobiltelefone genutzt. Diese sollen deutsche Sicherheitsbehörden Monate später in der Ukraine geortet haben.

 

Wie das Rechercheteam jetzt berichtet, soll die „Andromeda“ kurz vor den Explosionen neben bislang bekannten Zwischenstopps in Dänemark und Polen, auch einen Halt im schwedischen Hafen Sandhamn gemacht haben. Das berichteten den Reportern mehrere Augenzeugen, die das Schiff und die Besatzung im Hafen gesehen haben wollen. Ein Augenzeuge, ein deutscher Segler, sagte gegenüber ARD, SZ und ZEIT, er habe fünf Männer und eine Frau an Bord der „Andromeda“ gesehen. „Zwei Herren mit kurzen Haaren, militärisch würde ich sagen“, so beschrieb der Segler die Männer. Die Frau sei klein, zierlich und brünett gewesen. Aus deutschen Ermittlerkreisen wurde der Stopp in Sandhamn bestätigt.

 

Während die deutschen Ermittler davon ausgehen, dass die „Andromeda“ für die Tat verwendet wurde, gibt es Widerspruch aus Polen. Der polnische Staatssekretär Stanislaw Zaryn, der zuständig ist für die Koordination der Geheimdienste seines Landes, sagte ARD, SZ und ZEIT: „Wir haben keine Spuren der Beteiligung dieser Yacht an den Ereignissen gefunden.“ Bei der Crew habe es sich offenbar um Leute gehandelt, „die auf der Suche nach Spaß waren“. Die Fahrt habe einen „rein touristischen Charakter“ gehabt. Niemand sei aufgefallen, „der nur im Ansatz eine militärische oder sabotagebezogene Ausbildung hätte“. Beweise legte er nicht vor. Zaryn und die polnische Regierung halten es für wahrscheinlicher, dass Russland hinter dem Anschlag steckt. Die russische Regierung hatte eine Beteiligung wiederholt dementiert.

 

Dies ist eine Recherche von ARD, Süddeutscher Zeitung und ZEIT mit Expressen aus Schweden, Frontstory aus Polen, Intelligence online aus Frankreich, Delfi aus Estland, NOS/Nieuwsuur aus den Niederlanden.

 

Für die ARD waren NDR, rbb, SWR, WDR und das ARD-Hauptstadtstudio an den Recherchen beteiligt.

 

Den Film „Tatort Ostsee – Wer sprengte die Nord Stream-Pipelines?“ zeigt DAS ERSTE heute um 21:45 Uhr und bereits ab 17:00 Uhr in der ARD-Mediathek (https://1.ard.de/nordstream).

 

Den gemeinsamen gleichnamigen Podcast von ARD, SZ und ZEIT gibt es in der ARD-Audiothek (https://1.ard.de/nordstream_podcast) und überall, wo es Podcasts gibt.

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