Politik

Statement von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zum „Solutions Day” der COP 27

Selbst wenn die Flut zurückgeht, können wir nirgendwo hingehen. Kein Essen, kein Geld, um Zement zu kaufen, kein Geld, um ein neues Haus zu mieten.“
Dies sind die Worte von Habeebat Lawal aus Nigeria.
Teile ihres Landes stehen unter Wasser. 1,4 Millionen Menschen in Nigeria mussten ihr Zuhause verlassen. Hunderte sind bei den Überschwemmungen umgekommen.
Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit: Menschen wie Habeebat, Menschen aus Nigeria, aus Somalia, aus Pakistan leiden extrem unter der Klimakrise, obwohl sie kaum etwas zu ihrem Entstehen beigetragen haben.
Genau deshalb setzt Deutschland die Klimagerechtigkeit ganz oben auf seine Agenda.
Ich weiß, dass viele von Ihnen – insbesondere die Inselstaaten des Pazifiks – das seit fast 30 Jahren fordern.
Heute bin ich hier als deutsche Außenministerin, um Ihnen zu sagen: Wir hören Sie! Wir haben verstanden!
Ich kann mich noch gut an meine erste VN-Klimakonferenz im Jahr 2015 in Paris erinnern, an der ich als Abgeordnete teilgenommen habe. Damals haben viele Inselstaaten, viele NGOs, viele Abgeordnete wie ich vehement dafür gekämpft, dass die Industrieländer zumindest über Verluste und Schäden sprechen, dass sie das Thema anerkennen.
Aber wieder und wieder rannten wir gegen eine Wand.
Jetzt, auf COP 27, ist diese Frage ein zentrales Thema in den Verhandlungssälen. Endlich!
Ich rufe alle dazu auf: Lasst uns diese Chance ergreifen!
Lassen Sie uns keine Zeit damit verlieren, über Mechanismen zu debattieren, die die Welt von 1992 widerspiegeln, während wir bereits im Jahr 2022 mit einer Erderwärmung von 1,2 Grad leben.
Lassen Sie uns Verantwortung übernehmen! Deshalb sind wir als Politikerinnen und Politiker heute hier.
Lassen Sie uns Verantwortung übernehmen für die Emissionen, die alle großen Emittenten verursacht haben – Verantwortung für Menschen wie Habeebat. Es gibt Tausende wie sie.
Lassen Sie uns an konkreten Maßnahmen, an konkreten Lösungen arbeiten – ein Mosaik an Maßnahmen, um den am stärksten gefährdeten Menschen zu helfen.
Hier geht es nicht um Wohltätigkeit. Hier geht es um Gerechtigkeit – und um Sicherheit für unsere gemeinsame Zukunft.
Und eins möchte ich ganz klar sagen: Das wird Geld kosten.
Wir rücken nicht von unserer Verpflichtung ab, 100 Milliarden US‑Dollar für Klimafinanzierung aufzubringen.
Deutschland erhöht seinen Beitrag auf sechs Milliarden Euro pro Jahr.
Aber auch 100 Milliarden sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn wir uns ansehen, was notwendig ist.
Gemeinsam mit dem Privatsektor müssen wir Billionen in die richtigen Kanäle lenken.
Aktuell ist unsere Finanzarchitektur dafür noch nicht ausgelegt.
Barbados hat innovative Reformideen vorgelegt. Und wir möchten diese Vorschläge aufgreifen.
Aber auf große Visionen hinzuarbeiten, bedeutet auch, konkrete Maßnahmen vor Ort voranzubringen, um den Menschen zu helfen, mit der aktuellen Krise zurechtzukommen.
Denn die Klimakrise ist schon da.
Daher haben wir einen Globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken eingerichtet. Nicht als Vorwand, sondern als Hilfe im Hier und Jetzt. Menschen wie Habeebat können nicht warten, bis wir in ein paar Jahren ein neues Instrument entwickelt haben. Sie brauchen jetzt Hilfe.
Aus diesem Grund haben wir den Schutzschirm hier auf der Klimakonferenz vorgestellt und möchten auch andere Länder ermutigen, ihren Anteil für dem Ausgleich von Verlusten und Schäden zu übernehmen. Durch den Schutzschirm werden einzelne Projekte gefördert – zum Beispiel der Erwerb von neuem Saatgut für Landwirte, die in Dürreperioden ihr Einkommen verloren haben.
Wir brauchen konkrete Projekte für die Anpassung an den Klimawandel. In Usbekistan unterstützen wir einen wassersparenden Bewässerungskanal.
Durch Tröpfchenbewässerung können dort 50 % des normalen Wasserverbrauchs gespart werden.
Der Kanal ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Lebensader für eine ganze Region.
Lösungen wie diese sind es, die wir unterstützen wollen. Daher freue ich mich, heute ankündigen zu können, dass Deutschland seinen Beitrag zum Anpassungsfonds um weitere 60 Millionen Euro aufstocken wird.
Um weiteren Schaden zu verhindern, müssen wir auch bei der Verringerung der Emissionen ehrgeiziger sein.
Der brutale russische Krieg in der Ukraine hat uns nicht vom Kurs abgebracht. Im Gegenteil: Deutschland wird bis 2030 den Anteil an erneuerbaren Energien in seinem Energiemix auf 80 Prozent erhöhen.
Die Ära der fossilen Brennstoffe geht zu Ende.
Und wir spielen eine aktive Rolle dabei.
Wir helfen außerdem unseren Partnern beim Übergang zu grünen Energien.
Allein in Afrika hat die Hälfte der Bevölkerung keinen ständigen Zugang zu Elektrizität.
Dies auf klimafreundliche Weise zu ändern, wird eine Herkulesaufgabe.
Aber noch einmal: Konkrete Maßnahmen sind es, durch die große Visionen Realität werden.
Wir haben mit Südafrika eine Partnerschaft für eine gerechte Energiewende geschlossen und einen Investitionsplan aufgestellt, der dem Land helfen soll, auf grüne Energie umzusteigen.
Dies trägt auch dazu bei, alternative Arbeitsplätze für Menschen zu schaffen, deren Arbeit vom Kohlebergbau abhängig ist.
Diese Partnerschaft ist ein Modell, das wir ausbauen wollen.
Am Dienstag haben wir gemeinsam mit unseren G20-Partnern bahnbrechende Klimaziele und die entsprechende Finanzierung mit Indonesien festgelegt.
Bis 2030 werden mindestens 34 Prozent der gesamten Stromerzeugung Indonesiens aus erneuerbaren Energien stammen.
Mit Leuchtturm-Projekten wie diesem schaffen wir uns eine Zukunft auf der Grundlage erneuerbarer Energien, anstatt die Vergangenheit mit Öl, Diesel und Gas wieder neu zu erschaffen.
Ja, wir brauchen wirtschaftliche Entwicklung, aber wir sollten nicht die Fehler der Industrieländer aus der Vergangenheit wiederholen.
Uns stehen bereits alle Instrumente dafür zur Verfügung.
Ich appelliere an uns alle, ehrgeizige Finanzpläne, ehrgeizige Projektpläne, aber auch ehrgeizige Klimaschutzpläne vorzulegen.
Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Wir können das 1,5‑Grad-Ziel nur erreichen, wenn wir die Emissionen verringern, und zwar nicht 2030, 2040 oder 2050, sondern jetzt.
Daher sind für uns die Frage der Finanzierung und ein ehrgeiziger Klimaschutzplan zwei Seiten derselben Medaille.
Wenn wir das nicht jetzt, innerhalb dieses Jahrzehnts, tatsächlich umsetzen, sprechen wir nicht mehr über eine Erderwärmung von 1,5 Grad und wir werden nirgendwo auf der Welt das Geld zusammenbringen, um alle Schäden und Verluste auszugleichen.
Daher ist ein ehrgeiziger Klimaschutzplan von so entscheidender Bedeutung.
Meine Damen und Herren,
es bleiben uns nur noch wenige Stunden oder vielleicht Tage auf dieser COP 27.
Und für diese letzten Stunden rufe ich Sie alle dringend auf: Wenn Sie am Verhandlungstisch sitzen, denken Sie an Habeebat aus Nigeria, die nirgendwo hingehen kann, denken Sie an 2775 Menschen in Indien, die in diesem Jahr aufgrund von Extremwetterereignissen gestorben sind – und denken Sie an die Folgen der Klimakrise für die Menschen in Ihrem Land.
Diese Menschen können nicht bis nächstes Jahr warten. Und auf gar keinen Fall können sie bis 2030 oder 2050 warten.
Diese Menschen brauchen von uns jetzt Lösungen.
Daher appelliere ich an Sie: Alle Antworten liegen auf dem Tisch – lassen Sie uns handeln!

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