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Die rechtsextreme Szene im Kontext des Ukrainekrieges

Symposium des Landesdemokratiezentrums im Justizministerium / Havliza: „Entwicklungen aufmerksam verfolgen“

Der Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Ukraine im Februar 2022 hat große Auswirkungen für Sicherheit, Wirtschaft und Gesellschaft in unserem Land.

Auch im Bereich des politischen Extremismus zeichnen sich durch den Krieg neue Dynamiken und Herausforderungen ab. Vor allem stellt sich die Frage, ob kriegsbedingt neue Radikalisierungspotenziale in unserer Gesellschaft entstehen.

 

Dieser Thematik hat sich das im Niedersächsischen Justizministerium angesiedelte Landes-Demokratiezentrum am 22. August mit einem Symposium angenommen, um den Blick für neue Herausforderungen der Abwehr und Prävention von Rechtsextremismus und demokratiefeindlichen Bestrebungen zu schärfen.

 

Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza sagt: „Schon während der Corona-Pandemie haben wir erlebt, wie ‚Fake News‘ und Verschwörungs-Narrative im Netz eine erschreckende Dynamik angenommen haben. Damit hat sich ein gefährlicher Resonanzraum für rechtsextreme Ideologien gebildet. Durch den Ukraine-Krieg – nicht zuletzt durch die manipulative russischen Propaganda – wird diese Entwicklung verschärft und sie spielt demokratiefeindlichen Bewegungen in die Hände.“ Infolge einer kriegsbedingten Energiekrise könne es zu sozialen Spaltungen kommen, die von Extremisten gezielt instrumentalisiert werden können so Havliza. Diese Entwicklung müsse sehr aufmerksam verfolgt werden.

 

Wolfgang Freter, Fachmann für Rechtsextremismus im Niedersächsischen Verfassungsschutz, sieht einerseits die rechtsextreme Kernszene in ihrer Haltung zum Ukraine-Krieg gespalten. Andererseits sei das Potenzial derjenigen, die eine Delegitimierung des demokratischen Rechtsstaates anstrebten, in den letzten Jahren aufgewachsen, wie z. B. „Reichsbürger-Bewegung“ und „Querdenken“-Szene. Vor allem in diesem Spektrum, das sich stark im Netz abspiele, seien pro-russische Positionen verbreitet; hier wirke die russische Staatspropaganda mittels Desinformationen als „hybrider Hebel“ gezielt ein.

 

Achim Bröhenhorst, Rechtsextremismus-Experte im Landes-Demokratiezentrum, richtete den Blick auf die Auseinandersetzung um den Ukraine-Krieg innerhalb der rechtsextremen Szene. Die pro-russische „Fraktion“ bewundere Putin als starken Autokraten und scharfen Gegner des westlichen Liberalismus. Andererseits werde in Teilen der rechtsextremen Szene die Ukraine als Ideal eines ethnisch-homogenen Nationalstaates verklärt, die es zu verteidigen gelte. Trotz dieser Spaltungslinien sei sich die Szene jedoch in ihrem antisemitischen und antiwestlichen Feindbild- und Verschwörungsdenken weiterhin einig.

 

Aus zivilgesellschaftlicher Perspektive beleuchtete Nicholas Potter, Journalist und Redakteur bei der Amadeu-Antonio-Stiftung, die Aktivitäten rechtsextremer Paramilitärs und Söldner im Ukraine-Krieg. Auf russischer Seite seien zahlreiche solcher rechtsextremen Kampfgruppen im Ukraine-Krieg aktiv, insbesondere die „Gruppe Wagner“, die Task-Force „Rusitsch“ sowie die „Russische Reichsbewegung“. Auf ukrainischer Seite habe mit dem Regiment „Asow“ ein ultranationalistischer Freiwilligen-Verband durch seine Schlüsselrolle bei der Verteidigung Mariupols eine starke Popularität erlangt. Das Regiment sei, so Potter, jedoch weiterhin ideologisch als rechtsgerichtet einzustufen.

Schwierig einzuschätzen sei die Beteiligung ausländischer Rechtsextremisten an Kampfhandlungen in der Ukraine. Einigkeit bestand darin, dass für die deutsche Szene bislang nur eine kleine Zahl von Ausreisern zu verzeichnen sei (der Vertreter des Nds. Verfassungsschutzes sprach von einer Zahl im unteren zweistelligen Bereich deutschlandweit).

 

In einem weiteren Beitrag aus zivilgesellschaftlicher Perspektive schärfte die Journalistin Lara Schultz den Blick für die Vielfalt der in Deutschland beheimateten „Communities“ postsowjetischer Herkunft. Rassistische Stereotype und Ressentiments gegen Angehörige dieser „Communities“ sowie gegen Zuwanderer aus Osteuropa überhaupt („Slawenfeindlichkeit“) seien ein unterschätztes Phänomen, was auch aktuelle Studien untermauern. Dieses Phänomen müsse stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt und in der Beratungsarbeit mit Betroffenen berücksichtigt werden.

 

Hieran knüpfte Marie Kortmann, Sprecherin der Betroffenenberatung Niedersachsen ( Betroffenenberatung Niedersachsen ), in der abschließenden Podiumsdiskussion an. Sie gab vertiefte Einblicke in die Praxis der Betroffenenberatung und zeigte Wege auf, wie und wo sich Menschen Unterstützung holen können, die im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg Anfeindungen erleben. Es bestand außerdem Einigkeit in der Diskussion, dass die kriegsbedingten Verunsicherungen und Sorgen der Bevölkerung in einem demokratisch gerahmten Diskurs ernst genommen und aufgefangen werden müssen.

 

Das Landes-Demokratiezentrum im Nds. Justizministerium wird die Folgewirkungen des Ukraine-Krieges auch in weiteren Veranstaltungen thematisieren, um relevante Erkenntnisse für seine Präventionsarbeit zu gewinnen. Damit soll außerdem den bei Fortdauer des Krieges drohenden Gewöhnungs- und Abstumpfungseffekten entgegengewirkt werden.